Interview

Italienische Starregisseurin Liliana Cavani: »Wir gehen Schrecklichem entgegen«

Liliana Cavani erhielt 2023 beim Filmfestival in Venedig einen Goldenen Ehrenlöwen für ihre Karriere.
Liliana Cavani erhielt 2023 beim Filmfestival in Venedig einen Goldenen Ehrenlöwen für ihre Karriere. Elisabetta A. Villa/Getty Images
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Die Starregisseurin Liliana Cavani ist eine der bedeutendsten Figuren der italienischen Filmgeschichte. Bis heute ist ihr Schaffen von ihrer Kindheit im Faschismus geprägt, wie sie im Gespräch erklärt. Wie Cavani als Atheistin dazu kam, gleich drei Filme über einen Heiligen zu produzieren – und warum sie ihr bekanntestes Werk, »Der Nachtportier«, nur im grauen Wien drehen konnte.

In Ihren Filmen haben Sie immer wieder Vergangenes aufgearbeitet. Nun droht in Ihrer jüngsten Arbeit, „L’ordine del tempo“, der Weltuntergang, das Ende der Zeit. Warum?

Liliana Cavani: Das Konzept „Zeit“ faszinierte mich immer schon. Jede Generation denkt, Teil eines Neubeginns zu sein. Aber in Wirklichkeit sind wir Kinder vorheriger Generationen, Erben ihrer Erfahrungen. Wir alle sind Teil der Geschichte, leben in ihr. Sie formt uns.   

Sie setzen sich in Ihren Arbeiten intensiv mit der Brutalität des 20. Jahrhunderts auseinander, thematisierten Nationalsozialismus, Faschismus, Stalinismus. Wie kam es dazu?

Ich habe Alte Geschichte und Klassische Philologie studiert, kannte mich also besser mit dem Peloponnesischen Krieg aus als mit den Weltkriegen. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts erforschte ich, indem ich Dokus für die RAI drehte, Italiens öffentlich-rechtliches Fernsehen. Ich studierte Zeitdokumente, Videos, das half mir, vieles zu verstehen und zu verarbeiten.

Sie sind in der Emilia-Romagna aufgewachsen, der Geburtsregion Benito Mussolinis – und zugleich Zentrum des antifaschistischen Widerstands. Hat Sie das geprägt?

Im Gegensatz zu vielen aus meiner Generation musste ich mich nach dem Krieg nicht von der faschistischen Kultur lösen, meine Vorfahren waren nie Teil davon gewesen. Ich stamme aus einer antifaschistischen, atheistischen Familie. Besonders beeinflusst hat mich mein Großvater. Mein ganzes Leben lang hat mich folgende Szene begleitet: Ich sitze über meinen Hausaufgaben, mein Opa raucht seine Zigarre. Plötzlich steht er auf, geht um den Tisch, sagt: „Sie bewegt sich doch.“ Er zitierte Galileo Galilei und sprach so über Mut und Freiheit des Denkens.

Erinnern Sie sich an die Zeit des Faschismus?

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