Klimapolitik

Tempo 80/100, Maut, Stromleitungen: Wie Klimaziele erreichbar werden

Allein mit Tempolimit und Verkehr lassen sich Österreichs Klimaziele erreichen. Ein Bericht der CCCA-Klimawissenschaftler zeigt, wie die Treibhausgase verringert werden können.
Allein mit Tempolimit und Verkehr lassen sich Österreichs Klimaziele erreichen. Ein Bericht der CCCA-Klimawissenschaftler zeigt, wie die Treibhausgase verringert werden können. Picturedesk / Christian Vorhofer
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Tempolimits, Maut, Öffi-Intervall-Verdichtung, Erneuerbare Energie: Das sind die Kernpunkte, die Österreich seine Klimaziele erreichen lassen. Klimawissenschaftler gewichten in einem Bericht mehr als 1400 Maßnahmen.  

Tempolimits und Straßenmaut: Allein diese beiden Maßnahmen haben das Potential, die Reduktionslücke von 7,4 Millionen Tonnen Treibhausgasen bis 2030 zu schließen. Das zeigt ein Bericht, der am Mittwoch in Wien vorgestellt worden ist.

Auf mehr als 300 Seiten werden 1408 Vorschläge bewertet, mit denen der Ausstoß von Treibhausgasen verringert werden kann. Der Bericht wurde von 55 Wissenschaftlern verfasst und setzt beim „Nationalen Energie- und Klima-Plan“ (NEKP) und dem anschließenden Konsultationsverfahren an. In letzterem wurden im vorigen Sommer 100 Stellungnahmen abgegeben.
Die darin enthaltenen 1408 Einzelmaßnahmen wurden zu Themenbündeln zusammengefasst, priorisiert und Themenbereichen zugeordnet.

79 Cluster mit insgesamt 671 Maßnahmen werden als „hoch empfehlenswert“ eingestuft. Die meisten Maßnahmen (jeweils mehr als 300) wurden in den Bereichen Verkehr, Raumplanung und Stadtentwicklung sowie Energie, Industrie, Infrastruktur und schließlich Governance und Recht vorgeschlagen.

„Die Prämie wird teurer, das Feuerrisiko wird hoch sein“

„Mit dem Bericht gibt es eine gute Basis, um die weitere Vorgangsweise zu diskutieren und mit der Umsetzung zu beginnen,“ meint Karl Steininger, Professor für Klimaökonomie und nachhaltige Transition am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz. Dies sei hoch an der Zeit: „Die Situation ist vergleichbar mit dem Brandschutz: Wenn eine Firma eine Feuerversicherung abgeschlossen hat und nur sieben von zehn erforderlichen Schutzmaßnahmen erfüllt, dann wird es wichtig sein, dass sich die Firmenleitung auf die Erfüllung der drei ausstehenden Brandschutz-Maßnahmen einigt. Andernfalls wird die Prämie teurer und das Feuerrisiko hoch sein.“ Im Klimaschutz sei dies ähnlich.

Selbst wenn der NEKP-Entwurf bis zum letzten Punkt und Beistrich umgesetzt wird, fehlen 13% der Reduktion, die nötig ist, um das Ziel 2030 (ein Minus an Treibhausgasemissionen um 48 Prozent) zu erreichen – 7,4 Millionen Tonnen. Die Bewertung der Wissenschaftler zeigt, dass in den zusätzlichen Maßnahmen, die in den 100 Stellungnahmen enthalten sind, mehr als 7,4 Millionen Tonnen Reduktions-Potential steckt – die Ziele also erreicht werden können.

„Allerdings“, so Steiniger, „wird Österreich mehr Treibhausgase ausgestoßen haben, als dies historisch zusteht. Das bedeutet, dass wir dafür Ausgleichszahlungen an jene Länder zahlen, die ihr Treibhausbudget nicht erfüllt haben.“

Zurück zu den Maßnahmen: Einen wesentlichen Raum nimmt das Spannungsfeld zwischen Auto und öffentlichem Verkehr ein. So wird in mehreren Stellungnahmen eine Reduktion der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verlangt – auf 30/80/100. Solche Maßnahmen wären sofort möglich und hätten nicht nur ein Sinken der Treibhausgas-Belastung zur Folge. Es gäbe auch um 15 % weniger Unfälle und 28% weniger Todesopfer im Straßenverkehr.

Weniger Potential (als im NEKP angenommen) wird dagegen den E-fuels zugeschrieben, nicht zuletzt wegen des vergleichsweise geringen Wirkungsgrades im Einsatz wie in Herstellung. Ganz abzuschreiben seien e-fuels allerdings auch nicht, sie seien für den Einsatz in Nischenmärkten (in Teilbereichen des Güterverkehrs) wichtig. Treibhausgassenkend wäre auch, wenn Unternehmen für Rücksendungen im Online-Handel eine Gebühr bezahlen müssten.

Viele Vorschläge zielen auf eine flächendeckende, fahrleistungs-, tageszeit- und fahrzeugtyp-abhängige Straßenmaut ab und fordern Anreize dafür, dass keine Verbrennungsmotoren mehr verwendet werden. Generell solle der Umstieg auf umweltverträgliche Mobilität – öffentlichen Verkehr, Fahrrad, zu Fuß – attraktiver gestaltet werden.
Als wesentlich wird auch eingestuft, die Raumordnung zu überarbeiten – dies sei sowohl im Verkehrsbereich notwendig, als auch bei der Energieversorgung. In der Energiepolitik haben Photovoltaik und Windkraft eine zentrale Rolle, während Wasserkraft und Biomasse bereits jetzt einen hohen Ausbaugrad haben. Auch Wasserstoff wird in den Vorschlägen Platz eingeräumt. Wesentlich ist dabei, dass die im Herstellungsprozess nötige Energie erneuerbar gewonnen wird.

Distanz gegenüber CO2-Speicherung

In den Maßnahmen wird auch die Speicherung von Kohlendioxid (CCS) mehrmals genannt; die CCCA-Wissenschaftler stehen dem aber distanziert gegenüber: „Zu beachten sind die hohen Investitionskosten und der hohe Energieaufwand sowie mögliche weitere Unsicherheiten (z. B. Leckagen in Speicherstätten). Für CCS müssten neue gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, welche auch das langfristige „Monitoring und Verification” regeln. CCS kann daher mittel- und langfristig einen Beitrag zur CO2-Emissionsreduktion leisten“, dürfe aber nicht als „Alternative zum Umstieg auf erneuerbare Energien und zu Energieeffizienzmaßnahmen“ gesehen werden. Alternativen Reduktionsmaßnahmen, welche zur Vermeidung von fossiler Energienutzung und damit zum Strukturwandel beitragen, sei der Vorrang einzuräumen, heißt es in der Bewertung.

Im Kompetenzengewirr der Raumplanung laufen die Vorschläge auf eine „umfassende Klimareform“ der gesamten Wohnrechtsmaterie hinaus – Änderungen des Wohnungs-Eigentums-, Mietrechts- und des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes seien überfällig – inklusive Leerstandsabgabe und Brachflächenmanagement.

Änderung der Landnutzung ist dabei das Schlüsselwort, aber auch im Zusammenhang mit den Ernährungsgewohnheiten und der Tierhaltung. Gefordert wird ein System von Maßnahmen, die ineinander greifen. Und so ist folgerichtig, dass bei der Bewertung gewarnt wird, Klimaschutz nicht auf Kosten der Biodiversität zu betreiben. Hier müsse langfristig gedacht werden.
Etwa auch im Wald: Derzeit werden 88% des jährlichen Holzzuwachses geerntet. Obwohl also mehr nachwächst als genutzt wird, nimmt die Funktion des Waldes als Kohlenstoff-Senke ab. Um 2070 könnte der österreichische Wald auf Dauer mehr CO2 in die Atmosphäre abgeben, als er ihr entnimmt.

Im Entwurf des Energie- und Klimaplans wird die Annahme durchgespielt, dass die Nutzung von Holz für Energiezwecke um zehn TerraWattstunden gesteigert wird. „Bei Deckung aus primärer Waldbiomasse in Österreich steigerte sich die Nutzung (primäre Holzernte) des Waldes hypothetisch auf 103 % des derzeitigen Zuwachses; der Wald würde damit zur Emissionsquelle.“ Insgesamt unterstreichen die Wissenschaftler die Notwendigkeit, Öko-Systeme zu renaturieren – das gilt in besonderem Ausmaß auch für Moore, die weit mehr Kohlenstoff binden als die gleiche Fläche Waldes.

Hohe Zustimmung für viele Maßnahmen, aber Ablehnung beim Verkehr

Zahlreiche Vorschläge ranken sich auch um die unterschiedlichen Aspekte der Kreislaufwirtschaft – auch das ein zentraler Begriff beim Umbau zu einer klimafreundlichen Zukunft.

27 Stellungnahmen stammen von Interessensvertretungen, 22 von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), 15 von Unternehmen, weitere 15 von Privatpersonen, zehn von Gebietskörperschaften, vier aus wissenschaftlichen Einrichtungen; sieben Kommentare waren den genannten Gruppierungen nicht zuordenbar.
„Klimaschutz im größeren Kontext denken“

27 der 79 als „hoch empfehlenswert“ eingestuften Maßnahmen-Cluster werden durch den Fragenkatalog einer repräsentativen Umfrage (1500 Befragte) abgedeckt, die im Jänner und Februar durchgeführt worden ist und wissen wollte, wie hoch die Akzeptanz für Klimaschutz-Maßnahmen ist. 24 Cluster haben demnach hohe Akzeptanz. Geringe Zustimmungswerte gibt es allerdings im Verkehr (konkret bei Tempolimit und beim Stopp des Infrastrukturausbaus bei Straßen); gleichzeitig treten diese Befragten stark für andere Maßnahmen im Verkehrsbereich ein, etwa den Ausbau von Rad- und Fußweginfrastruktur.

Der Ausbau der Erneuerbaren Energie wird stark befürwortet, wobei die Frage nach der Meinung zu Starkstromleitungen wohl eher nur für Experten erkennbar ist. Abgefragt wurde nämlich die Meinung nach „Netz-Infrastruktur“, womit etwa auch Speicher gemeint sein könnten.

„Klimakrise im größeren Kontext denken“

Insgesamt fordern die Wissenschaftler, dass die Umsetzung durchdacht und vernetzt angegangen werden muss. Helga Kromp-Kolb, Doyenne der Klimaforschung in Österreich: „Die Klimakrise ist nur ein Symptom eines verfehlten, nicht nachhaltigen Umganges mit Natur und Mensch. Klimaschutzmaßnahmen sind daher immer auch im größeren Kontext der nachhaltigen Entwicklung zu denken.“

Außer Steininger und Kromp-Kolb sind die federführenden Autoren der Studie Gottfried Kirchengast (Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz), Sigrid Stagl (Institut für ökologische Ökonomie der WU Wien) und der IPCC-Co-Autor Keywan Riahi (Internationales Institut für angewandte Systemanalyse, IIASA).

Wie geht es weiter? Im Umwelt- und Klimaministerium werden die Stellungnahmen in den NEKP eingearbeitet. Der endgültige Bericht muss dann bis Ende Juni diesen Jahres an die EU-Kommission geschickt werden. Im Jänner war eine Übermittlung gescheitert – Umwelt- und Klimaministerin Gewessler (Grüne) hatte den Bericht nach Brüssel geschickt, ehe ihn Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) postwendend zurückrief.

Wer auch immer in den kommenden Jahren und Monaten die Verantwortung für Klimapolitik haben wird: Er oder sie kann nicht sagen, man müsse Details ausarbeiten, ehe man an die Umsetzung gehe. Mit diesem Bericht liegen die Details vor, man kann an den Start gehen und Klimapolitik konsequent umsetzen.

Der CCCA-Bericht über die NEKP-Maßnahmen

Die Maßnahmen aus den Stellungnahmen

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