Analyse

Kinder als Straftäter: Türkiser Schwenk auf blaue Idee

Kanzler Karl Nehammer will unter anderem nachdenken, ob die Strafmündigkeit herabgesetzt werden soll.
Kanzler Karl Nehammer will unter anderem nachdenken, ob die Strafmündigkeit herabgesetzt werden soll. APA / Robert Jaeger
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Kein „politischer Aktionismus“ sollte laut Frauenministerin Raab den jüngsten Gewalttaten folgen. Kanzler Nehammer will ihn im Kampf mit der FPÖ offenbar doch – und fordert niedrigere Strafmündigkeit.

Wien. Die Ersten waren die Freiheitlichen vor etwas mehr als einer Woche. Noch vor dem Bekanntwerden der seriellen sexuellen Nötigung und (Gruppen-)Vergewaltigung einer 12-jährigen Wienerin durch 17 zum Teil unmündige Täter forderte die FPÖ eine Verschärfung der Strafmündigkeit von Jugendlichen: Auch unter 14-Jährige sollten angesichts von 10.745 Anzeigen, die 2023 gegen unter 14-Jährige eingebracht wurden, Haftstrafen bekommen können. Am Sonntag schwenkte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) nun auf eine ähnliche Linie: Gegenüber der „Kronen Zeitung“ erklärte er, dass er darüber nachdenke, das Alter der Strafmündigkeit senken zu wollen.

„Wir müssen schonungslos darüber sprechen, was falsch läuft und wo der Rechtsstaat nicht genügend Möglichkeiten bietet einzuschreiten“, wurde Nehammer zitiert. Dafür habe er Verfassungsministerin Karoline Edt­stadler und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) beauftragt, diverse Ideen zu „prüfen“. Das wird auf Nachfrage der „Presse“ in Edtstadlers Ressort bestätigt. Es liege auf der Hand, dass angesichts des schrecklichen Vorfalls „mehr Aufmerksamkeit“ auf Jugendkriminalität und -banden gelegt werden müsse. Es werde aber nicht „die eine Maßnahme“ geben. Verwiesen wird auch auf den Schulbereich oder das Innenressort.

Ob aus dem Vorstoß ein konkretes Gesetzesvorhaben wird, ist aber fraglich. Denn außer der FPÖ sind alle anderen Parteien gegen eine Herabsetzung des Strafalters. Auch der Koalitionspartner: Der aktuelle Fall sei „erschütternd“, sagt die grüne Justizsprecherin Agnes Prammer zur „Presse“. Man halte aber nichts davon, „im berechtigten Schock über diese Tat Anlassgesetzgebung zu machen“. Das Ziel müsse sein, dass so etwas nicht passieren kann. Prammer führt die Einbindung der Schulen, des sozialen Umfelds und der Eltern sowie professionelle Unterstützung ins Treffen, die auch die Länder fordere.

Geballte ÖVP-Kommunikation

Ähnlich argumentierten vor einer Woche SPÖ und Neos anlässlich der blauen Forderung. Das wohlwissend, fiel die akkordierte Kommunikation der ÖVP am Sonntag besonders auf. Obwohl Frauen- und Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) infolge der sechs Tötungsdelikte an Frauen vom vergangenen Wochenende noch am Freitag dafür plädierte, „nicht in politischen Aktionismus zu verfallen“, verfiel sie diesem 48 Stunden später quasi selbst: Es sei „menschenverachtend und zutiefst verstörend, was da für ein fürchterliches Frauenbild in den Köpfen dieser Burschen herrschen muss, das in diesem Fall auch über Migration aus anderen Kulturen importiert wird“, schrieb Raab infolge der Kanzlerforderung auf der Kurznachrichtenplattform X.

Sie halte Straffreiheit aufgrund des Alters „bei solch bestialischen“ Straftaten für „falsch“. Sollten Eltern nicht dafür sorgen, dass ihre Kinder wissen, was richtig und falsch sei, „muss der Staat eingreifen. In Extremfällen auch mit harten Maßnahmen.“ Welche sie meine, ließ ihr Büro auf Nachfrage offen. Im ÖVP-Jugendstaatssekretariat zeigte man sich mit dem Vorstoß ebenso einverstanden: Es dürfe nicht sein, dass wir bei solchen „grauenvollen Taten und bei minderjährigen Wiederholungstätern tatenlos zusehen müssen“, sagt Staatssekretärin Claudia Plakolm zur „Presse“.

Ist das juristisch umsetzbar?

Ein Blick in andere Länder zeigt, dass die Strafmündigkeit auch weit unter 14 liegen kann. In der Schweiz sind Kinder schon ab zehn Jahren strafmündig, Freiheitsstrafen dürfen über sie aber erst ab 16 verhängt werden. Die FPÖ verweist u. a. auf Wales und Nordirland, wo Kinder ebenfalls ab dem vollendeten zehnten Lebensjahr strafmündig sind, in Schottland gar ab acht Jahren. Als begleitende Maßnahmen denken die Blauen auch über eine richterlich angeordnete „Schnupperhaft“ oder Gespräche mit Gefängnisinsassen nach. In Deutschland, wo das Strafalter ebenfalls bei 14 liegt, hat es im Vorjahr einen ähnlichen Vorstoß der CDU nach der Tötung einer Zwölfjährigen durch eine Zwölf- und eine 13-Jährige gegeben.

Auf einen Blick

Die FPÖ forderte vor mehr als einer Woche, die Altersgrenze der Strafmündigkeit von derzeit 14 Jahren herabzusetzen. Nach Be­kanntwerden des mehrfachen sexuellen Missbrauchs einer Zwölfjährigen durch zum Teil Unmündige erwägt auch die ÖVP, derlei Ideen zu „prüfen“.

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