Morgenglosse

Wer in der EU nicht helfen will, darf selbst nicht auf Hilfe hoffen

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Bundeskanzler Karl Nehammer (beide ÖVP).
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Bundeskanzler Karl Nehammer (beide ÖVP).APA/Max Slovencik
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Innenpolitisch sind die Aussagen von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner zur Beistandspflicht verständlich. Österreichs Position könnte aber international gravierende Folgen für das Land haben.

Ob es nun ein Manöver im Wahlkampf war oder Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) eher herausgerutscht ist: Innenpolitisch sind ihre Aussagen zur Beistandspflicht nachvollziehbar. Tanner hatte im „Falter“-Interview gesagt, dass Österreich im Rahmen der EU-Beistandsklausel (sie kann von einem angegriffenen EU-Mitgliedstaat aktiviert werden) nur humanitäre Hilfe leisten könne.

In Österreich wird das gern gehört. Gerade in Wahlkampfzeiten eine militärische Unterstützung für EU-Staaten in den Raum zu stellen, damit lässt sich nichts gewinnen. Zumal Österreichs Neutralität ungebrochen beliebt ist, 78 Prozent sind laut einer Umfrage für ihre Beibehaltung. Dass die Politik also kaum ankündigen wird, im Ernstfall österreichische Soldaten in den Krieg schicken zu wollen, ist nicht überraschend. Doch sollten Regierungspolitiker auch bedenken, dass solche Aussagen bei den EU-Partnern denkbar schlecht ankommen. Vor allem, da Tanner in dem Interview die Möglichkeiten Österreichs bei der Beistandsklausel explizit auf „humanitäre Hilfe“ eingrenzte.

Jahrzehntelang galt die Maxime, dass Österreich von Nato-Staaten umgeben sei, und wenn doch etwas passiere, werde uns schon ein anderes Land helfen. Einerseits auf Hilfe hoffen, wenn man sie braucht, andererseits Unterstützung verweigern, wenn andere Hilfe brauchen? Sich als solidarischer Staat in der EU darstellen, aber auf die Neutralität zurückziehen, wenn es brenzlig wird? Beides zugleich geht nicht. Denn: „Wer auf Solidarität anderer zählt und europäische Sicherheitspolitik mitgestalten will, muss auch selbst in der Lage sein, relevante Beiträge zu leisten“, heißt es völlig richtig im Landesverteidigungsbericht 2022.

Das alles sollte überlegt werden, gerade weil es sich um eine Entscheidung handelt, die Menschenleben kosten könnte. Rechtlich haben neutrale Staaten laut Völkerrechtlern jedenfalls die Möglichkeit, im Rahmen der EU-Beistandspflicht auch militärische Hilfe zu leisten, wenn der politische Wille da ist. Wenn sich Österreichs Politik nun auf Tanners Position festlegt, müssen die Vorteile, aber zugleich auch die Risiken dieser Entscheidung benannt werden. Nämlich, dass Österreich im Ernstfall mit massiven politischen und wirtschaftlichen Folgen rechnen muss: Der Ansehensverlust wäre auf lange Zeit nicht mehr gutzumachen und Österreich könnte in Europa isoliert werden. Auf die Hilfe anderer Staaten braucht man dann hierzulande, wenn man selbst unerwartet in die Bredouille kommt, nicht mehr zu hoffen.  

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