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Worüber wir am Frauentag nicht reden

Demonstranten am Internationalen Frauentag 2020 in Berlin.
Demonstranten am Internationalen Frauentag 2020 in Berlin. Imago / Imago
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Frauen und Männer handeln bei der Aufteilung von Job und Haushalt ökonomisch und rational, auch das ist ein Grund für den Lohnunterschied. Was am Frauentag viel zu kurz kommt: Die Lage vieler Frauen, die nach Österreich geflüchtet sind. Ein guter Teil von ihnen verdient nämlich nicht weniger als Männer, sondern überhaupt nichts. Mit allen negativen Folgen.

             

Jeannine Hierländer
stv. Ressortleiterin Economist

Jeannine Hierländer
 

Guten Morgen!

Einst ging es am Frauentag um die Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen, aber weil dieses zumindest in den westlichen Demokratien verwirklicht ist, reden wir um den 8. März hauptsächlich über Ungerechtigkeiten. Vor allem über Lohnunterschiede. Nur 37 Prozent der Menschen in Österreich rechnen zu ihren Lebzeiten mit einer völligen Gleichstellung der Geschlechter, las ich unlängst auf einem Werbebildschirm im Autobus der Wiener Linien. 

Dazu veröffentlichte „Der Standard“ zu Jahresbeginn eine interessante Befragung: Sieben von zehn Menschen in Österreich gaben an, dass sie selbst meistens gerecht behandelt werden. Aber mehr als jeder Zweite glaubt, dass das für andere nicht gelte. Das legt den Schluss nahe, dass Ungerechtigkeiten zwar oft angenommen werden, aber in der Realität viel seltener stattfinden.  

Die Statistik Austria veröffentlichte am Dienstag ihre „Gender-Statistik”. Und meine Vermutung ist eingetreten: Der geschlechtsspezifische Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen ist wieder kleiner geworden. Frauen verdienten 2022 um 18,4 Prozent weniger pro Stunde als Männer. 2021 waren es 18,8 Prozent.  

Aber ganz verschwinden wird der Lohnunterschied vermutlich nie – weil Unterschiede in der Berufs- und Ausbildungswahl, im Arbeitsausmaß, in der Karriereorientierung bleiben. So haben Frauen bei den Bildungsabschlüssen deutlich aufgeholt. Aber: Mädchen und Frauen beginnen – trotz aller Bemühungen – seltener Ausbildungen in gut bezahlten Mint-Bereichen. Und wenn sie beginnen, brechen sie sie häufiger ab als Buben und Männer, oder sie gehen nach der Ausbildung in andere Berufe, zeigt eine aktuelle Erhebung des IHS (lesen Sie mehr dazu in unserer Schwerpunktausgabe am 8. März).  

Ein Grund ist die Familienplanung. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang die Erkenntnisse der US-Ökonomin Claudia Goldin, die für ihre Forschung voriges Jahr den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt. Die Harvard-Ökonomin untersucht, warum sich ein gewisser Lohnunterschied so hartnäckig hält, obwohl Frauen immer besser gebildet sind und auch oft in gut bezahlten Jobs arbeiten. 

Goldin zufolge besteht heute ein bedeutender Teil der Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen in denselben Beschäftigungsfeldern. Ihre Erklärung: Wer bereit ist, rund um die Uhr für seinen Job zur Verfügung zu stehen, könne sein Einkommen überproportional zur eingesetzten Zeit vermehren, vor allem in Spitzenjobs wie Anwalt oder Venture Capitalist. Goldin nennt das „Super Lucrative Work“. Dabei gehe es nicht unbedingt darum, wie viel, sondern wann gearbeitet werde – an Wochenenden, im Urlaub, am Abend. 

Gerade in solchen „High End Jobs“ müsse man einen Einsatz in der Gegenwart erbringen, um die Meriten später zu ernten – etwa in Form von Beförderungen oder Gehaltserhöhungen. Eine traditionelle Aufgabenteilung sei für Paare also schlicht lukrativ. Ein Elternteil kümmert sich federführend um Haus und Kinder, der andere – meist der Mann – kann im Job den Einsatz bringen, der sich später in der Karriere auszahlt.  

Würden sich diese Paare Haus- und Familienarbeit ausgeglichen aufteilen, würden sie Geld auf der Straße liegen lassen: „Das 50-50-Paar mag glücklicher sein, aber es wäre ärmer”, sagte Goldin 2022 in einem Interview mit „Forbes”. Für eine gleichmäßigere Arbeitsteilung zahlen Paare also einen Preis – und viele sind offenbar nicht bereit, ihn zu bezahlen. Denn dieses „Zuverdienermodell” ist auch in Österreich beliebt. Menschen handeln also rational und ökonomisch – wer kann es ihnen verdenken?

Manche Themen werden am Frauentag eher ausgespart. Besorgniserregend fand ich eine Studie, die der Österreichische Integrationsfonds diese Woche veröffentlicht hat. Der Bericht untersuchte die Erwerbstätigkeit von Flüchtlingen in Österreich, und er weist eine erschreckend niedrige Beschäftigung von geflüchteten Frauen aus: Im Jahr 2021 waren nur 22 Prozent der 2015 in Österreich angekommenen Frauen erwerbstätig. Nur jede vierte Frau aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak ist erwerbstätig, Türkinnen zu 51 Prozent. Der österreichweite Schnitt liegt bei 70 Prozent. Von den geflüchteten Männern arbeiteten sechs Jahre nach der Fluchtwelle immerhin zwei Drittel. 

All diese arbeitslosen Frauen verdienen nicht nur weniger als Männer, sondern überhaupt nichts. Sie werden vermutlich ihr Leben lang finanziell von ihren Männern oder vom Sozialstaat abhängig sein. Ihnen fehlt der Anschluss an die Mehrheitsgesellschaft, sie sind an Haus und Heim bzw. an ihre Community gefesselt, ohne Aussicht auf Integration und auf ein freies, selbstbestimmtes Leben.

Dazu haben jene, die öffentlichkeitswirksam die Lohnschere anprangern, in der Regel recht wenig zu sagen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass derlei Dinge, wenn sie Zuwanderer betreffen, vor allem unter links denkenden Menschen gern als „kulturelle Eigenheiten” verbucht werden, die uns nichts angehen.  Ich finde, dass wir am Frauentag auch darüber reden sollten. 

Herzlich, Ihre

Jeannine Hierländer

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