Astronomie

Stellarer Analphabetismus

Nie ist die Welt stiller als unter dem Nachthimmel im Nachtgarten.
Nie ist die Welt stiller als unter dem Nachthimmel im Nachtgarten.Pavel Smilyk/Getty Images
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Letztlich ist der Sternenhimmel für uns alle ein einziges großes Rätsel, auch wenn sich manche darin besser auskennen als jene, die überall Große und Kleine Wagen sehen.

Ich wünschte, ich könnte im Sternenhimmel lesen. Wie früher die Babylonier und die Maya, wie die Fischer der südlichen Meere und die Inuit in der Polarnacht. Ich brauchte kein Fernrohr, kein Teleskop. Der Himmel wäre mir wie eine Landkarte, ich würde immer wissen, wo ich mich befinde, in welche Richtung es nach Hause geht. Die späte Nacht, sie ist meine liebste Tageszeit. Nie ist die Welt stiller, nie ist man köstlicher allein als um vier, fünf in der Früh unter dem Nachthimmel im Nachtgarten. Hin und wieder ein Rascheln, im Sommer gelegentlich ein Schwärmer an einer Blüte, die Milchstraße in klaren Nächten wie ein silbriges Band. Kein Mensch, kein Telefon, keine E-Mail. Idealzustand.

Doch leider bin ich eine astronomische Analphabetin, auch wenn sich über mir eine ganze Sternenbibliothek aufspannt. Der Sternenhimmel ist die Dimension, die mir fehlt, die Verknüpfung mit dem Universum, zumindest einen Millimeter Richtung Unendlichkeit, so kann man sich das jedenfalls vorstellen.

Wo ist der große Wagen?

Allerdings, den Großen Wagen finde ich meistens. Immerhin. Früher hat man ihn die Große Bärin genannt, dann hat sie sich zum Bären gewandelt. Erstaunlicherweise gibt es den Großen Wagen auch in Klein. Mit einem Trick kann man in eine bestimmte Richtung von Stern zu Stern hüpfen und irgendwelche Achsen ausmachen, dann findet man auch ihn, und dann weiß man immerhin genau, wo Norden ist. Denn der Polarstern ist der hellste Stern im Bild des Kleinen Wagens. Doch beginnt hier eine gewisse Unsicherheit, denn kleine und große Wagen kann man mit etwas Fantasie fast überall ausmachen. Der Himmel ist voll davon, man muss nur den Blick dafür schärfen. Das funktioniert überall, wo genug Sterne zu sehen sind, also wenn man sich an einem Ort der Finsternis befindet, an dem nicht überall des Abends die Lichter angehen.

Die großartigsten Sternenhimmel sieht man mitten auf dem Meer, von kleinen Schiffen aus, und mit Glück leuchtet das Plankton unter dem Bug dazu wie die Entsprechung der Milchstraße im Meerwasser. Auch auf Berggipfeln bietet sich ein Anblick, den man unten in den Tälern schon fast vergessen hat, weil hier die ewigen Nachtlichter alles verwischen und den Blick trüben. Vier Fünftel der Weltbevölkerung leben an Orten, von denen aus der Sternenhimmel so gut wie ausgeblendet ist, durch Lichtverschmutzung und durch Smog. Es gibt sogar einen eigenen Atlas der Lichtverschmutzung. Wer beispielsweise in Westeuropa nach dunklen Regionen sucht, findet sie am ehesten noch in Norwegen, Schweden und in Schottland, heißt es darin.

Ein ebenfalls halbwegs verlässliches Sternzeichen ist das sogenannte Himmels-W, die Kassiopeia. Wenn ich daheim bin in meinem Nachtgarten, finde ich sie locker. Zum Beispiel in der Zeit, wenn die Glühwürmchen fliegen, dann steht sie ziemlich genau über der Fichte, vom Balkon aus betrachtet. Ich habe sie jedoch auch in anderen Weltgegenden auszumachen versucht, ohne Orientierungshilfe, und tatsächlich auch gefunden. Doch möglicherweise stimmten die Proportionen nicht so ganz mit jenen des Himmels-W von daheim überein. Das sollte zu denken geben, so wie die vielen Großen und Kleinen Wagen.

Das kleinste aller Sternbilder

Ganz sattelfest bin ich zumindest, was das Kreuz des Südens anlangt, das kleinste aller Sternbilder, und, wie ich finde, das Schönste und Sehnsuchtsvollste. „Schau, das Cruzeirinho do Sul!“ Ich weiß noch, wer es mir das erste Mal gezeigt hat, Angela I., irgendwo im brasilianischen Hinterland, wo die Nächte so eiskalt sind, dass die Zahnpasta einfriert, und die Tage heißer als hierzulande im Hochsommer. Landschulwoche, wir waren ungefähr 13, 14 Jahre alt, und vom Zelt aus war das Crux zu sehen. Vier helle Sternenlichter, ein leicht verzogenes Deltoid. Unverwechselbar, und im Gegensatz zu den unterschiedlichen Kassiopeias und den vielen falschen Wagen nirgendwo anders aufzutreiben. In der Antike konnte man das Kreuz des Südens noch von Athen aus sehen, eigentlich im gesamten Mittelmeerraum, das muss man sich einmal vorstellen. Mittlerweile ist es von dort verschwunden, und das ist der Präzessionsbewegung der Erde geschuldet, von der ich als stellare Analphabetin wenig mehr weiß, als dass es sie gibt.

Dann ist da noch der Mond, ein guter Freund, verlässlich, wenn es um Zu- und Abnahme geht, aber sonst ebenfalls ein Rätsel. Wann er wo auf- und untergeht, kann ich nur ungefähr sagen, und dass er – zumindest bei uns – nie im Norden steht. Aber das macht nichts, solang ich ihn auf der ganzen Welt finde, immer und überall.

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