Der Mediator

Bildungskarenz oder bloß Karenzbildung?

Wie entspannt darf Bildungskarenz sein? Kann man sich zum Beispiel im Liegestuhl in einem Londoner Park ins Netz einklicken und einen Pilates-Kurs absolvieren?
Wie entspannt darf Bildungskarenz sein? Kann man sich zum Beispiel im Liegestuhl in einem Londoner Park ins Netz einklicken und einen Pilates-Kurs absolvieren? Matt Grayson/Pa Images
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Ein Reformstreit zwischen ÖVP und Grünen: Der Rechnungshof hat längst schon die explodierenden Kosten der Bildungskarenz kritisiert. Die Agenda Austria hat nun die Fehlentwicklungen genau studiert. Die Zeitungen kritisieren unisono den Missbrauch.

Bildung ist ein wunderbar kreatives Wort. Das aus dem althochdeutschen Substantiv bilidi erschaffene Verb bilidōn mutierte zum Abstraktum bildunga. Dahinter steckte wohl die Hoffnung, dass der Mensch positiv geformt werden könne, zu einem höheren Wesen, dem Herzensbildung angedeihe sowie der Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.

Auch Karenz ist ein flexibles Wort, stammt allerdings aus dem Spätlateinischen; carentia bedeutet das Entbehren oder Nichthaben. Mediziner meinen damit schlicht den Verzicht, Bürokraten eine Wartezeit. Laut Duden gibt es zudem einen speziellen Gebrauch im Österreichischen, als Kurzform für Karenz­urlaub. Die hiesige Amts- und Rechtssprache bezeichnet mit Karenz den Anspruch auf Freistellung von Arbeit gegen Entfall des Arbeitsentgelts.

Flucht

So entbehrungsreich muss mit Arbeitnehmenden aber nicht immer umgegangen werden, besonders dann nicht, wenn Bildung und Karenz aus diversen gesellschaftspolitischen Motiven eine Zweckgemeinschaft eingehen. Bildungskarenz ist tatsächlich ein tolles neues Wort. Um diesen Begriff tobt derzeit eine heftige Debatte. Wer darf sich für den Erwerb der Bildung von der Arbeit karenzieren lassen? Und was passiert, wenn sich diese Person dann auch von der Bildung karenziert? Die trefflichste Definition dieses heimischen Luxussonderwegs hat eine kluge Kollegin in der „Presse“ geliefert: „Eine teure Form von Flucht aus dem Job.“

Wie haben andere Blätter die Umdeutung von hehrer Bildungskarenz in dreiste Karenzbildung gedeutet? Die „Salzburger Nachrichten“ bringen es im Blattaufmacher ebenfalls auf einen wesentlichen Punkt: „Über die Bildungskarenz zur längeren Babypause.“ Bei der Einführung 1998 sei das Projekt ein großer Wurf der rot-schwarzen Koalition gewesen. Inzwischen werde diese berufliche Auszeit vom Rechnungshof wegen der „massiv gestiegenen Kosten“ stark beanstandet. Ein Faktum sei, „dass mehr überdurchschnittlich gut Ausgebildete das Instrument in Anspruch nehmen als die eigentliche Zielgruppe – Personen mit Pflichtschulabschluss und geringerer Ausbildung“.

Ins Dilemma gerät „Der Standard“. Einerseits verteidigt er den großzügigen Einsatz von Weiterbildungsgeld: ­Arbeitsmarktpolitik dürfe „ruhig teuer sein“. Andererseits gebe es ein Problem: „Die Bildungskarenz, so wie sie aktuell aufgestellt ist, erfüllt diesen Zweck nicht.“ Sinnvoll sei, dass die ÖVP „höhere Zugangshürden zum Weiterbildungsgeld einziehen“ wolle. Getadelt wird jedoch der kleinere Koalitionär der Bundesregierung. Die Grünen würden solche Hürden und Einschränkungen ablehnen: „Das wirkt so, als würden sie diesmal vor allem die Pfründen ihrer Klientel, der gut ausgebildeten Akademiker, verteidigen wollen.“

Die Causa Karenz löst in der „Kronen Zeitung“ ebenfalls Strenge aus, allerdings ironisch schick verbrämt. Anhand der angeführten Beispiele ist eine gewisse Sehnsucht nach Dolcefarniente zu erkennen. „Wer wissen will, wie großzügig oder besser: verschwenderisch der Staat mit unserem Steuergeld umgeht und sich auch ein Stück vom Kuchen holen mag, kann selbst um Bildungskarenz ansuchen.“

Sommelier-Kurs

Mit einfachen Bestätigungen von „Bildungseinrichtungen“ ließen sich „auf Staatskosten Hobbys vertiefen“. Das schlage dann mit einer halben Milliarde Euro zu Buche: „Sommelier-Ausbildungen, Pilates-Fertigkeiten oder Ferienliebe-Fremdsprachen-Kurse lassen sich so tatsächlich finanzieren“, weiß die „Krone“, die den offensichtlichen Missbrauch geißelt: „Geplant war die Bildungskarenz einst, um Menschen mit schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt zur besseren Qualifikation zu verhelfen. Die meisten Karenzler sind jedoch Höhergebildete.“

Und welche Konsequenz wird die im Wahlkampf besonders spendable Bundesregierung aus all der Kritik ziehen? Die türkis-grünen Welten werden wohl das tun, was sie inzwischen perfekt beherrschen: Abwarten.

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