Die Ich-Pleite

Das Smartphone hält einen bei der Stange

Carolina Frank
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Ohne die großen Pixel vor den Augen hätte ich zum Beispiel erst viel später erfahren, dass ich heute noch arbeiten muss.

Zuerst dachte ich: Das ist eine Frechheit, dass ich in der Straßenbahn am Ring entlangfahre und die Oper, den Schwarzenbergplatz und das Burgtor nicht sehe, weil mir kinderkopfgroße bunte Kugeln, die von außen gesehen ein Werbespruch sind, die Sicht versperren. Aber dann habe ich verstanden, dass die Wiener Linien mit der Bim-Ganzkörperwerbung ihren Fahrgästen nur einen besonderen Service bieten wollen. Sie wollen uns davor schützen, einfach in die Luft zu starren oder auf den Glanz vergangener Epochen und dabei über unser heutiges kleines Leben nachzudenken.

Passt die Beziehung noch? Passt der Job noch? Oder soll ich mich einmal umschauen? Stattdessen lässt man den Kopf hängen und schaut dorthin, wo alle anderen auch hinschauen. Auf die Fußballergebnisse, den neuesten Bürotratsch oder die Sonderangebote bei Hofer. Sprich: aufs Smartphone. Das hält einen bei der Stange. Ohne die großen Pixel vor den Augen hätte ich zum Beispiel erst viel später erfahren, dass ich heute noch arbeiten muss. Womöglich wäre ich sogar einfach bei der Oper ausgestiegen und hätte mir gesagt: Jetzt spaziere ich einmal durch den Ersten. Und wer weiß, ob ich nicht unterwegs für ein paar Stunden verloren gegangen wäre. Aber dank Wiener-Linien-Bim-Werbung kann ich schon auf dem Nachhauseweg meinen Laptop aufklappen. Gut, das vielleicht nicht. Weil neben mir sitzt eine gestresste Mutter mit drei Einkaufstaschen und einem strampelnden Kleinkind auf dem Schoß. Aber man kann auch andere Dinge tun, wenn einem der Blick auf Wien versperrt ist. Der Blick auf die Wiener ist einem nämlich nicht versperrt. Wobei, wenn man genauer hinschaut, lässt man vielleicht doch wieder den Kopf hängen oder schließt gleich die Augen.

 (Die Presse Schaufenster, 15.3.2023)

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