Zersiedelung

Bodenverbrauch: Verfassungsgericht weist Klage ab

NGO will Bodenschutz bei Gericht durchsetzen, Verfassungsrichter entscheiden gegen eine Staatshaftungsklage.
NGO will Bodenschutz bei Gericht durchsetzen, Verfassungsrichter entscheiden gegen eine Staatshaftungsklage.APA/APA/Helmut Fohringer
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Gesetzesbruch durch mangelhafte Gesetzgebung: Das wirft eine NGO Bund und Ländern aufgrund der Defizite in der Bodenschutzpolitik vor. Diese Klage bescheidet das Verfassungsgericht nun allerdings ablehnend.

Über einen indirekten Weg hat die Nichtregierungsorganisation AllRise im vorigen Mai den ausufernden Bodenverbrauch an den Verfassungsgerichtshof herangetragen. Der Republik Österreich und exemplarisch den Bundesländern Ober- und Niederösterreich wirft die NGO vor, den Schutz des Bodens mangelhaft zu betreiben. Mit symbolischen Beträgen (7777 Euro) hat AllRise eine Staatshaftungsklage eingebracht.

Und wie wird laut der NGO der Schutz des Bodens vernachlässigt? Durch lückenhafte Gesetzgebung, sodass Europäisches Recht nur mangelhaft umgesetzt werde. Konkret werden dabei die Wasserrahmenrichtlinie, die Nitrat-, die Flora-Fauna-Habitat-, die Vogelschutz- und die UVP-Richtlinie genannt. Deren ungenügende Umsetzung in nationales Recht (und in weiterer Folge in Länderrecht) bewirke, dass der Schutz des Bodens nicht vorankomme. (Nicht-)Umsetzungen der genannten Richtlinien wirken sich auf den Bodenverbrauch aus. Eine Bodenschutz-Richtlinie gibt es nicht.

Seit mehr als 20 Jahren enthalten die Programme der jeweiligen Bundesregierungen das Ziel, den täglichen Verbrauch an Boden auf 2,5 Hektar zu verringern. Derzeit wird eine fünfmal so große Fläche in Anspruch genommen, ein Gutteil davon wird versiegelt. Erst vor Kurzem haben sich Gemeinden und Länder gegen einen fixierten Zielwert ausgesprochen, auf den der Bodenverbrauch reduziert werden solle. Zudem hat sich auch Finanzminister Magnus Brunner in einem Interview mit den „Vorarlberger Nachrichten“ gegen ein solches Ziel ausgesprochen; es könne der Wirtschaft schaden, so sein Argument.

VfGH: „Nicht ausreichend substantiiert“

In dieses Umfeld fällt nun die Entscheidung der Verfassungsrichter, die den Vorwurf des „legislativen Unrechts“ nicht erkennen. Begründet wird dies unter anderem damit, dass „die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung über Staatshaftungsansprüche wegen Verstoßes gegen Unionsrecht“ nur in Betracht komme, „wenn der Akt, der die unionsrechtliche Staatshaftung auslöst, unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen ist“.

Es bleibe „bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auch für eine unionsrechtliche Staatshaftung, wenn der behauptete Schaden an ein verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln knüpft“. Den Klagsführern ging es aber genau darum, bei Gericht feststellen zu lassen, dass auslösend für die Bodenverbrauch-Misere mangelnde Gesetze seien und eben nicht Beamte (die Gesetze zu vollziehen haben).

Und schließlich meinen die Höchstrichter, das Vorbringen der Kläger sei nicht „ausreichend substantiiert“. Das Verfassungsgericht meint, dass die Klage pauschale Behauptungen enthalte. Zudem lasse sich der Klage „nicht einmal mit Bestimmtheit entnehmen, welche Vorwürfe dem Gesetzgeber und welche der Vollziehung gemacht werden“.

Der Jurist Wolfram Proksch, einer der Gründer von AllRise, meint dazu: „Die Möglichkeit zu einer Staatshaftungsklage gibt es seit dem Beitritt zur EU. In diesen 29 Jahren war nur eine einzige Staatshaftungsklage erfolgreich.“ Mit der jetzigen Zurückweisung werde das Instrument grundsätzlich infrage gestellt. „Es ist dann praktisch totes Recht.“

Proksch und Johannes Wesemann, auch er Gründer von AllRise, kritisieren heftig, dass in der VfGH-Begründung nicht auf die umfassenden Ausführungen in der Klage, in der auch Best-Practice-Beispiele angegeben werden, eingegangen worden sei.

Aufgeben will AllRise nicht: Innerhalb der kommenden vier Monate ist es möglich, dass die NGO den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anruft und über das Thema entscheiden lässt. Und möglich ist schließlich, dass an die EU-Kommission Meldungen erstattet werden, wo es Lücken bei der Umsetzung der genannten EU-Richtlinien gebe – ein konkretes Verfahren wird damit nicht automatisch gestartet, der Kommission steht es frei, ein Vertragsverletzungsverfahren zu starten. Diese rechtlichen Schritte werden als wahrscheinlich dargestellt, sind aber noch nicht fixiert.

Staatshaftungsklage in Original-Text, Mai 2023

Replik an den VfGH, September 2023

Der VfGH-Beschluss, 12.3.2024.

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