Jugendkriminalität

„Sehr viele Jugendliche, die Straftaten begehen, sind davor selbst Opfer geworden“

Die Polizei musste zuletzt wegen brutaler Jugendlicher häufig ausrücken.
Die Polizei musste zuletzt wegen brutaler Jugendlicher häufig ausrücken.APA / Florian Wieser
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Messerstechereien, Vergewaltigungen, Prügeleien: Die Zahl der brutalen Vorfälle, bei denen Jugendliche die Täter sind, häuften sich zuletzt. Doch warum werden Jugendliche kriminell und wie kann man Gewalt verhindern? Eine Antwort darauf hat Thomas Marecek vom Bewährungshilfe-Verein Neustart.

Herr Marecek, die Kriminalitätsstatistik zeigt, dass die Zahl der Anzeigen gegen Jugendliche deutlich zugenommen haben. Merken Sie in Ihrer Arbeit auch, dass Jugendliche immer krimineller werden?

Der Anteil an den Jugendlichen, der bleibt recht konstant. Also rund ein Drittel unserer Klientinnen und Klienten in der Bewährungshilfe sind Jugendliche oder junge Erwachsene, also unter 21. Es ist richtig, dass es einen Anstieg bei der Anzahl an Tatverdächtigen gibt. Allerdings muss man da auch genau hinschauen, denn dafür gibt es mehrere Gründe.

Welche?

So wurde zum Beispiel 2018 die Zählweise geändert. Das hat schon einmal zu einem Anstieg geführt. Wir wissen auch, dass in den letzten Jahren die Anzeigebereitschaft gestiegen ist. Das führt natürlich auch dazu, dass es mehr Tatverdächtige gibt. Das hat auch damit zu tun, dass heutzutage gerade Kinder und Jugendliche viel teurere Wertgegenstände besitzen. Denken Sie nur an Mobiltelefone. Wenn es da zu einer Sachbeschädigung der zu einem Diebstahl kommt, dann wird das natürlich angezeigt.

Das Handy hat also sozusagen mehr Kriminalität verursacht.

Das kann man so sagen. Und nicht nur in dem Zusammenhang, sondern auch, was die sozialen Medien angeht. Es gibt ja durchaus auch Delikte, die sozusagen über die sozialen Medien begangen werden. Einerseits Drohungen, also wenn man jetzt über irgendeinen Messenger-Dienst eine Drohung ausstößt und auf der anderen Seite, wenn es um diese Darstellungen von Missbrauchsbildern geht. Da ist es so, dass ja die Hälfte aller Tatverdächtigen selbst minderjährig ist. Und zwar nicht, weil das pädophile Sexualstraftäterinnen und Sexualstraftäter wären, sondern weil die sich einfach gegenseitig explizite Bilder zuschicken.

Thomas Marecek ist Sprecher des Bewährungshilfe-Vereins Neustart.
Thomas Marecek ist Sprecher des Bewährungshilfe-Vereins Neustart. Neustart

Jetzt reden wir natürlich derzeit nicht von Missbrauchsdarstellungen, sondern es gab in den vergangenen Wochen ganz tragische Fälle: Massenvergewaltigungen, Messerstechereien. Und das ist vor allem in Gruppen passiert. Sind diese Jugendbanden neu für Sie?

Also es ist sehr häufig so, dass Jugendliche Delikte in Gruppen begehen. Da kommt dann auch noch der Gruppenzwang oder die Dynamik in der Gruppe hinzu. Das ist kein neues Phänomen. Aber ja, jetzt gibt es offensichtlich eine Häufung an bestimmten Orten. Und darüber diskutiert man jetzt auch und ich halte es auch für ganz, ganz wichtig.

Aber?

Aber ich glaube, man muss unterscheiden: Wenn man sich das große Bild ansieht, sieht man, dass die Verurteilungen bei Jugendlichen rückläufig sind, auch bei Gewaltdelikten, also auch bei Delikten gegen Leib und Leben.

Was sind denn die Ursachen, dass Jugendliche gewalttätig werden?

Die Ursachen sind sehr, sehr vielfältig. Wir wissen aus unserer Erfahrung, dass sehr viele Jugendliche, die Straftaten begehen, zuvor selbst schon auch Opfer von Straftaten geworden sind. Gerade diejenigen, die gewalttätig sind. Die haben Gewalt als vermeintliche Lösungsstrategie vorgelebt bekommen. Zum Beispiel in ihrer Familie oder in ihrem sozialen Umfeld. Das ist etwas, das sehr, sehr viele miteinander verbindet.

Was noch?

Oft ist es so, dass diese Jugendlichen keine erwachsenen Bezugspersonen haben, die ihnen ein positives und ein gutes Vorbild sind. Sehr häufig gibt es ein ganz unstrukturiertes Freizeitverhalten. Keine Ausbildungsstelle, keinen Arbeitsplatz. Das ist so die Gemengelage, in der sich diese Jugendlichen befinden.

Wie weit spielt fehlende Integration in diese Gewaltursachen mit rein?

Ich glaube schon, dass es auch für Jugendliche, so wie für jeden Menschen, wichtig ist, dass er sich in einer Gruppe akzeptiert und angenommen fühlt. Und wenn er das nicht tut, wird er entsprechend darauf reagieren. Und das kann manchmal natürlich auch in Straftaten resultieren. Also ich glaube, Integrationsbemühungen sind ganz wichtig und sind auch kriminalitätspräventiv.

Und wie schaut es mit dem toxischen Männerbild aus? Wie weit spielt denn das rein?

Natürlich spielen Geschlechterrollen mit eine Rolle, gerade wenn es um Gewalt gegen Frauen und Mädchen geht. Ich glaube nur, dass wir es uns nicht so einfach machen dürften und zu sagen, das ist ein importiertes Problem. Es ist vielmehr ein Problem, das es in unserer Gesellschaft gibt. Und ich glaube, dass da die Antwort nur sein kann, dass man möglichst früh ansetzen muss, hier ein Bewusstsein zu schaffen.

Weil Sie gerade sagen, man muss schon früh ansetzen. Was brauchen Jugendliche, um nicht kriminell zu werden? Was ist eigentlich die sinnvollste Maßnahme?

Ich glaube, dass es wichtig ist, in die Schulsozialarbeit zu investieren, also mehr präventive Angebote im Zuge der Schulsozialarbeit zu schaffen. Was ich in letzter Zeit auch immer wieder höre, sind die Forderungen nach einem flächendeckenden Ausbau der Kinder- und Jugendpsychiatrie: Dass es hier auch Therapieangebote gibt für Kinder und Jugendliche, die jetzt Probleme haben, die vielleicht psychische Erkrankungen haben. Daran mangelt es. Also ich glaube, man muss einfach möglichst früh anfangen. Da gibt es ein ganzes Bündel an Maßnahmen, das dabei hilft, dass Jugendliche eben nicht straffällig werden.

Podcast-Interview

Dieses Interview fand für den Presse-Podcast „Was wichtig wird“ statt und wurde für die gedruckte Fassung gekürzt. Sie können das vollständige Interview hier nachhören.

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