Kunst und Theater

Flatz im Burgtheater: Skandal, und keiner schaut hin

Deutsche-Doggen-Beflaggung vor dem Burgtheater: Das Steirer-Fest auf dem Rathausplatz gegenüber fand eindeutig mehr Beachtung.
Deutsche-Doggen-Beflaggung vor dem Burgtheater: Das Steirer-Fest auf dem Rathausplatz gegenüber fand eindeutig mehr Beachtung.Reuters/Elisabeth Mandl
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Trotz Beflaggung und Hitler-Persiflagen: Der als Provokation inszenierte Abend von Künstler Flatz zu Hitlers „Perlenrede“ schleppte sich durch Banalitäten.

Wos tat’s denn ihr do, gibt’s do was gratis?“ Die steirische Fangemeinde in Wien, die am frühen Samstagabend auf den Rathausplatz strömte, zum Steirer-Fest, war verwundert, wie man diesem, erstens, den Rücken zudrehen könne. Um stattdessen, zweitens, auf einen Balkon und ein paar rote Fahnen mit Hunde-Konterfei am Burgtheater zu starren. Aber ja, das gibt es in Wien, Kunst ist das. Und zumindest der Anblick dieser mit „Ich hatt’ einen Kameraden“-Fanfare eröffneten „Installation“ war tatsächlich gratis. Um 18 Uhr starrte also ein Grüppchen Freunde und Mitarbeiter von Burgtheater und des Vorarlberger Aktionskünstlers Flatz auf den Auftakt dieses „Abschiedsgeschenks“, das Direktor Martin Kušej der „braunen Wiener Brut“ hinknallen wollte. Nur dass diese „braune Brut“ sich weder für ihn, noch das Burgtheater, noch einen als Skandal-Lieferanten ohnehin erwartbaren Künstler interessierte. Nicht einmal die in Lederhosen und Dirndln fröhlich vor sich hin feiernden Steirer-Freunde wackelten mit dem Ohrwaschel, als der Kärntner Kušej sie stante pede zur Nazi-Publikums-Kulisse erklärte.

Wer kennt „Hitler-Balkon“ am Rathaus?

Der Hintergrund der einmaligen Aktion war noch das Interessanteste daran: Dass sich Hitler am 9. April 1938, am Tag vor der „Volksabstimmung“, auf einem provisorisch am Rathaus montierten Holzbalkon dem jubelnden „Volk“ zeigte, zählt nicht zum Allgemeinwissen wie der viel bekanntere Hitler-Altan am Heldenplatz. Dass dieser Holzbalkon später noch in Stein „gemeißelt“, also fix an der Rathausfassade verblieb, ebenfalls nicht. Bis heute ist dieser „Hitler-Balkon“ nicht durch eine Tafel kontextualisiert, obwohl die Gruppe Memory Gaps seit Jahren sogar dessen Entfernung fordert.

Drei Tage vor diesem historischen Datum erinnerte Flatz jetzt vis-à-vis des „Tatorts“, also am und im Burgtheater, daran, was damals dort geschah. Neben seinem Balkon-Erscheinen hielt Hitler noch im Rathaus selbst die „Perlenrede“, eigentlich nur ein paar Sätze, in der er Wien eine „Perle“ nannte, die er nun „in jene Fassung bringen“ würde, die ihr „würdig“ ist. Wir wissen heute, welch Monstrosität diese Ansage bedeutete.

„Perlenrede“ hieß die Flatz-Aktion auch schlicht, für die ihm die Burg samt Stars wie Bibiane Beglau und Rainer Galke zur Verfügung stand. Beglau musste in die Hitler-Stellvertreter-Rolle schlüpfen. An der Fassade, hinter dem spiegelgleich zum Rathaus angebrachten Rundbalkon, ist sie in einem Video zu sehen, in dem sie Hitlers Gestik persifliert. Die statt Hakenkreuze auf den Fahnen aufscheinende schwarze Dogge erklärt sich erst in einer Ausstellung im zweiten Pausenfoyer, also weit weg: Hier wird eine Fotoserie von Flatz aus den Neunzigern gezeigt, in der er seine Hitler genannte Dogge in verschiedenen Situationen inszeniert und per Bildunterschriften („Hitler mit geschwollenem Hoden“ etc.) den Namensgeber lächerlich erscheinen lässt. Ein künstlerischer Zugang, mit dem absolut Bösen umzugehen, den es seit Charlie Chaplin gibt.

In Wien war die Fotoserie noch nie zu sehen, stimmt. Wie Flatz, seit den 70ern mit Körperexzessen aktiv und dadurch zur zweiten Generation des Aktionismus zählend, in Wien bisher überhaupt keine große Präsenz bekam. In München dafür wird er derzeit in der Neuen Pinakothek mit einer Retrospektive geehrt, die Wien sicherlich auch gut anstehen würde. Die Aktion im Burgtheater war dafür keine gute Visitenkarte.

Ist nicht „Jedermann“ ein „Killer“?

Tiefpunkt war das Stück, das Flatz, der sich auch als Bühnenbildner, Poet und Musiker versteht, für die große Bühne konzipiert hat. Die Uraufführung fand im Anschluss statt und dauerte zähe 85 Minuten. Es handelte sich um eine Art Medley aus Flatz-Szenen, Videos von Aktionen, eingespielten Metal-Songs, zu denen Bilder projiziert wurden wie etwa zu „Killer“ Porträts von Autokraten wie Stalin, Hitler, Putin oder, etwas aus der Reihe fallend, George Bush. Dann gab es Dialoge, die Flatz eigens geschrieben hat: Beglau musste Hitler oder den verhinderten Hitler-Künstler „Relith“ geben, gestikulierte wild und rang sichtlich damit, eine von ihr gewohnte Intensität zu schaffen. Die anderen waren schablonenhafte Figuren wie der Tod, der Krieg etc. Klar, auch „Jedermann“ musste dabei immer wieder angerufen werden.

Angesichts dessen, was man auf dieser Bühne schon für zutiefst beeindruckende, verstörende Theatermomente zur NS-Vergangenheit Österreichs, von Thomas Bernhard, Einar Schleef, Elfriede Jelinek, was man hier an künstlerischen Interventionen von Christoph Schlingensief bis Hermann Nitsch schon erlebt hat, fällt es schwer, über diesen Abend geballter Banalitäten zu schreiben. Vielleicht sollte man es auch einfach lassen. Ach ja: Höflicher Applaus.

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