Tschetschenien

Schutz der „tschetschenischen Mentalität“: Regime verbietet zu schnelle und zu langsame Musik

Eine Frau in traditioneller Tracht trat am 10. März 2024 während einer Kundgebung in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny im Vorfeld der russischen Präsidentschaftswahlen auf.
Eine Frau in traditioneller Tracht trat am 10. März 2024 während einer Kundgebung in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny im Vorfeld der russischen Präsidentschaftswahlen auf.Imago / Yelena Afonina
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Der tschetschenische Kulturminister verbietet das Abspielen von schneller bzw. zu langsamer Musik. Diese stehe nicht im Einklang mit der tschetschenischen Mentalität und dem musikalischen Rhythmus.

Zu schnell oder zu langsam? Auf tschetschenischen Radiosendern dürfen künftig keine Lieder mehr gespielt werden, die schneller als 116 Beats pro Minute bzw. langsamer als 80 Schläge pro Minute sind. Bzw. wird Musik außerhalb dieses Tempo-Korridors überhaupt verboten. Das verkündete Kulturminister Musa Dadajew am vergangenen Freitag, wie die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass berichtet - in dem autoritär geführten Land geht das natürlich nicht ohne Zustimmung von Präsident Kadyrow. „(Ich) habe die endgültige Entscheidung bekannt gegeben, die mit dem Präsidenten der Tschetschenischen Republik Ramsan Achmatowitsch Kadyrow vereinbart wurde, dass von nun an alle musikalischen, vokalen und choreografischen Werke einem Tempo von 80 bis 116 Schlägen pro Minute entsprechen müssen“, sagte Dadajew laut Tass.

Dieser Tempokorridor entspreche der „tschetschenischen Mentalität und dem musikalischen Rhythmus“, um „dem Volk und der Zukunft unserer Kinder das kulturelle Erbe des tschetschenischen Volkes zu vermitteln“, wird Dadajew vom US-Sender CNN zitiert. „Es ist unzulässig, Musikkultur von anderen Völkern zu übernehmen“, sagte Dadajew. Die „Moscow Times“ berichtet, dass Musiker nun bis zum 1. Juni Zeit hätten, ihre Stücke umzuschreiben, um alle Kriterien zu erfüllen. Ansonsten dürften sie ihre Werke nicht mehr öffentlich vortragen.

Das neue Gesetz kriminalisiert die meisten modernen Tanzmusikgenres. Damit soll offenbar eine „Verschmutzung“ der tschetschenischen Kultur mit westlicher Musik verhindert werden.

Ein enger Tempo-Korridor

„Beats per Minutes“, in der Musikwelt oft als bpm abgekürzt, gibt das Tempo eines Liedes an. „Can You Feel The Love Tonight“ von Elton John (aus „König der Löwen“) hat etwa 60 bpm, also einen Beat/Schlag pro Sekunde. In unserem Beispiellied ist das eine Viertel, in Notenwerten gesprochen pro Sekunde. Das Lied ist in Tschetschenien künftig offenbar verboten. Es ist zu langsam. Zu schnell wären etwa „Euphoria“ von Loreen (Song-Contest-Siegerlied 2012). „Fürstenfeld“ von STS ist mit 118 bpm liegt knapp über der tschetschenischen Grenze. „I Am From Austria“ von Rainhard Fendrich, das wohl ebenfalls kaum in Tschetschenien gespielt wird, kratzt mit 82 bpm am unteren Limit der neuen Regeln in der muslimisch geprägten Teilrepublik der russischen Föderation. Die russische Nationalhymne ist mit 76 bpm eigentlich zu langsam - fällt aber wohl nicht in die oben aufgezählten Genres.

Die „Beats per Minute“ gelten auch als Anhaltspunkt bei der Herzmassage bei der Reanimation. Dafür wird empfohlen, 100 bis 120 Mal pro Minute auf das Brustbein der Person mit Herzstillstand zu drücken. Das Tempo (sofern nicht über 116 bpm) entspricht somit auch der „tschetschenischen Mentalität“. Dafür gibt es - wer kann in so einer Ausnahmesituation schon das Tempo schätzen - folgende Songs als Anhaltspunkt: „Stayin‘ Alive“ von den Bee Gees oder auch „I Will Survive“ von Gloria Gaynor, deren Grundbeat man recht gut im Ohr hat und dabei hilft, das richtige Tempo für eine Herzmassage zu finden.

Repressives Regime: Regelmäßig Menschenrechtsverstöße

Geführt wird Tschetschenien von Machthaber Ramsan Kadyrow. Er gilt als Gewaltherrscher, dem schwerste Menschenrechtsverstöße und auch politische Auftragsmorde vorgeworfen werden. Er präsentiert sich zugleich als treuer Ergebener Putins.

Tschetschenien war in den 1990er Jahren eine von Russland abtrünnige Region. Putin ließ 1999 als Ministerpräsident russische Truppen in der Republik einmarschieren. Die Hauptstadt Grosny wurde beim Sturm schwer zerstört. Die Metropole ist inzwischen wieder aufgebaut. (Red./Ag.)

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