Morgenglosse

Klimaklage: Wichtiger als alle Urteile ist, was Staaten und Unternehmen damit machen

Gerichte können Firmen und Regierungen zu mehr Klimaschutz drängen. Ein Ersatz für demokratisch gewählte Politiker sind sie nicht.

Am Dienstag war nicht nur bei Schweizer Klima-Seniorinnen Feierlaune angesagt. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), wonach die Schweiz das Menschenrecht der älteren Damen verletzt habe, weil sie sich nicht ausreichend um Klimaschutz bemüht habe, gibt dem boomenden Sektor der Klimaklagen weiteren Aufwind. „Staaten müssen notwendige Regulierungen und Maßnahmen setzen, die darauf abzielen, den Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre und den Anstieg der Durchschnittstemperatur (…) zu verhindern“, schrieben die Richter in ihrer Begründung. Die Eidgenossen hätten nichts dergleichen getan und müssen nun nachbessern.

Das sitzt. Aber ist der Spruch aus Straßburg wirklich die erhoffte Wende in der Klimapolitik? Das Urteil ist zunächst einmal der bis dato letzte Beweis dafür, dass der Kampf gegen die Erderwärmung zunehmend vor Gericht ausgetragen werden wird. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der weltweiten Klimaklagen gegen Unternehmen und Staaten auf 2180 mehr als verdoppelt. Aber hatten sie Erfolg mit ihrem Ansinnen, Wirtschaft und Politik mehr Klimaschutz aufzuzwängen?

Kommt jetzt die Klagewelle von Greenpeace?

Die große Mehrheit der bisherigen Klimaklagen ist gescheitert. Gerade in Ländern wie Österreich bietet das Rechtssystem nur wenig Angriffsfläche. Die vom EMGR neu eingeführte Klagsbefugnis für Vereine könnte das verändern, wenn sich etwa Umweltschutzorganisationen dazu entscheiden, auch Österreich in Straßburg zu klagen. Doch selbst jene Klimaklagen, die vor Gericht gewonnen wurden, haben mitunter weniger verändert als erhofft.

So erwirkten Umweltschützer etwa 2021, dass die Niederlande ihre Treibhausgasemissionen stärker senken mussten. Auch das deutsche Klimaschutzgesetz hielt einer Klage vor dem Verfassungsgerichtshof nicht Stand und wurde – weil ungenügend – zu Fall gebracht. Sowohl die Niederlande als auch Deutschland legten neue Gesetze vor. Doch auch sie bleiben weit hinter den notwendigen Emissionskürzungen zurück – und sind zudem vorerst noch Papiertiger.

Noch drastischer offenbart sich das Problem in der Causa Shell, einem der größten Emittenten der Welt. Der Ölkonzern wurde 2021 von einem niederländischen Bezirksgericht dazu verurteilt, seine Emissionen bis 2030 um 45 Prozent gegenüber 2019 zu senken. Und zwar nicht nur die eigenen, sondern auch die, die rund um den Globus mit Shells Produkten erzeugt wurden. Der Ölmulti denkt freilich nicht daran, sich daran zu halten. „Das Urteil schadet dem Geschäft und bringt nichts für das Klima“, sagte ein Anwalt des Konzerns jüngst in der ersten Berufungsinstanz. Der Marsch bis zum Höchstgericht ist schon geplant. Derweil weicht Shell seine Klimaziele auf und erhöht seine Ölproduktion, statt sie zu senken.

Wie misst man Erfolg?

Es bleibt fraglich, wie die junge juristische Front gegen die Erderwärmung ihren Erfolg künftig bemessen soll. In gewonnenen Klagen? In verringerten Emissionen? Am besten sieht die Bilanz wohl dann aus, wenn man die Wirkung auf die Öffentlichkeit zur Messgröße nimmt. Klimaklagen beschäftigen nicht nur Juristen, sondern auch die Menschen, sie helfen, Druck auf Entscheidungsträger aufzubauen und Veränderungen anzustoßen. Und zwar selbst dann, wenn sie verloren werden. Ein Ersatz für verantwortungsvolle Politik sind sie deshalb nicht.

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