Höchstgericht

Großtrappe gegen Klimaschutz: Supreme Court entscheidet zugunsten beider

Das Höchstgericht Indiens trifft einen bahnbrechenden Beschluss.
Das Höchstgericht Indiens trifft einen bahnbrechenden Beschluss.Reuters/Adnan Abidi
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Der Spruch der indischen Höchstrichter ist mehr als ein Urteil. Er ist ein Arbeitsauftrag. „Nebenbei“ stellt der Gerichtshof fest, dass ohne Klimaschutz das Recht auf Leben verletzt wird.

Nicht selten sind Entscheidungen von Höchstgerichten zugepflastert mit Paragrafen und Geschäftszahlen, die Sprüche früherer Verfahren quasi in den Zeugenstand rufen. Der indische Supreme Court hat nun eine Grundsatzentscheidung gefällt, die sich anders liest und der Politik und den Experten konkrete Handlungsaufträge gibt. Das Verfahren ist im März verhandelt worden, aber ausgerechnet an jenem Tag bekannt geworden, an dem sich auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit einem Umweltthema beschäftigt hat, bei dem dem Schweizer Verein Klimaseniorinnen recht gegeben wurde.

Die Seniorinnen hatten geklagt, dass ihre Rechte durch die inkonsequente Klimapolitik der Schweizer Regierung beeinträchtigt werden. Der Menschenrechtsgerichtshof befand, dass die staatlichen Autoritäten „den effektiven Schutz vor den ernsten negativen Folgen des Klimawandels für Leben, Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität“ nicht im nötigen Ausmaß sichergestellt haben.

Der Spruch in Indien ist nicht weniger bahnbrechend – und bestechend auch in der fachlich detaillierten und konkreten Auseinandersetzung mit dem Umweltschutz – insbesondere sowohl mit dem Klimaschutz als auch mit dem Schutz der Artenvielfalt – und natürlich mit den Grundrechten.

„Staat soll Umwelt beschützen“

Begonnen hat das indische Verfahren 2019, und es ging zunächst ausschließlich um die Groß- und die Flaggentrappe auf einer Fläche von 99.000 Quadratmetern in den indischen Bundesstaaten Rajasthan, Gujarat (beide an der Grenze zu Pakistan) und Maharashtra (am Arabischen Meer). Beide Arten sind vom Aussterben bedroht. Das Höchstgericht stellte 2021 fest, dass der Schutz dieser Tiere (und ihrer Habitate) ungenügend sei und deshalb verstärkte Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssten. Von zentraler Bedeutung war bei den Maßnahmen außerdem, dass über weite Strecken Stromkabel unterirdisch verlegt werden sollten. Trappen erkennen Strommasten erst bei geringer Entfernung, sodass sie nicht mehr rechtzeitig ausweichen können – ein wichtiger Faktor beim Rückgang des Bestands der gefährdeten Vögel.

Die drei verpflichteten Ministerien in New Delhi haben nach etwa einem halben Jahr aber mit einer Eingabe den Fall erneut ins Rollen gebracht. Sie haben argumentiert, dass insbesondere die Verpflichtung, die Kabel unter die Erde zu verlegen, die Ziele im Klimaschutz gefährdeten. Das Höchstgericht hat den Einwand zugelassen, sich drei Jahre mit der Materie befasst und nun vor dreieinhalb Wochen entschieden.

Im Beschluss heißt es, dass „der Staat danach streben soll, die Umwelt zu beschützen und zu verbessern sowie den Bestand der Wälder und der wild lebenden Tiere sicherzustellen.“ Und weiter: „Ohne saubere Umwelt, die stabil ist und nicht beeinflusst von Unwägbarkeiten des Klimawandels, ist das Recht auf Leben nicht voll verwirklicht.“

„Das eine nicht auf dem Altar des anderen opfern“

„Das Recht auf Gesundheit wird beeinträchtigt durch die Luftverschmutzung, Änderungen bei Erregern übertragbarer Krankheiten, steigende Temperaturen, Trockenheit, Mangel an Lebensmitteln aufgrund von Missernten, Stürmen und Überflutungen. Die Unmöglichkeit für unterversorgte Gemeinschaften, sich an den Klimawandel anzupassen oder mit dessen Folgen zurechtzukommen, verletzt deren Recht auf Leben und ihr Recht auf Gleichheit.“ Dieser Grundsatz gelte auch für jene Menschen, die fernab des herkömmlichen Zivilisationsmodells in selbst gewählter Abgeschiedenheit von einer solchen leben.

Die Richter erörtern über weite Strecken die Bedeutung von Fotovoltaik und die zentrale Rolle Indiens, wenn ein Viertel des globalen Zuwachses am Stromverbrauch in den nächsten zwei Jahrzehnten für den indischen Subkontinent prognostiziert werde. Der rasche Ausbau der Sonnenergienutzung sei deshalb unerlässlich. Außerdem streicht das Höchstgericht die Verpflichtung heraus, die Indien eingegangen ist, als es die Klimakonvention von 1992 ratifiziert hat. Damit habe sich das Land verpflichtet, dass kein Schaden an der Umwelt inner- und außerhalb seiner Jurisdiktion verursacht werde.

Das Höchstgericht setzt sich schließlich ausführlich mit der Ungleichheit auseinander, der Frauen und Mädchen ausgesetzt sind: durch die Verteilung der täglichen Hausarbeit, durch den beschränkten Zugang zur Stromversorgung.

„Zwei Seiten der gleichen Münze“

Vor alledem sei eine „ganzheitliche Annäherung“ an Arten- und Klimaschutz notwendig, befinden die drei Richter, „ohne eines der beiden auf dem Altar des anderen zu opfern“. Die Entscheidung greift für die Begründung auf die nationalen und völkerrechtlichen Verpflichtungen Indiens zum Schutz der Artenvielfalt und des Klimas zurück und hält außerdem fest, dass „die Menschen ein Recht haben auf den Schutz vor den negativen Auswirkungen des Klimawandels“. Dieses Recht und jenes auf eine saubere Umwelt seien „zwei Seiten der gleichen Münze“.

Und die Trappen? Denen darf es trotz all dieser Überlegungen nicht schlechter gehen, auch wenn nun weniger Stromkabel in die Erde verlegt werden müssen, sagen die Höchstrichter. Die üben sich im Übrigen in Bescheidenheit. Die ursprüngliche Entscheidung habe angesichts der ganzheitlichen Betrachtung geändert werden müssen, heißt es. Was nun aber konkret zu tun sei, werde vorerst nicht dekretiert: „Diese Aufgabe ist besser bei den Experten aufgehoben als ein Apriori-Beschluss des Gerichtshofs.“

Sowohl die Zentralregierung als auch die Politiker der Bundesstaaten müssen nun liefern. Bis spätestens Ende Juli muss ein Konzept vorgelegt werden, wie alles am besten unter einen Hut gebracht werden soll: Schutz des Klimas, Schutz der Artenvielfalt, Schutz der Grundrechte.

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