Piepergate

Ursula von der Leyens nächstes Eigentor

Ganz in ihrem Element, fern der medialen Kritik: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Staatsbesuch in Kiew im Mai 2023.
Ganz in ihrem Element, fern der medialen Kritik: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Staatsbesuch in Kiew im Mai 2023.Imago/Abaca
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Die Kommissionspräsidentin befeuert Kritik an ihrem leichtfertigen Umgang mit den EU-Ethikregeln.

Brüssel. Bis zuletzt hatte sie seine umstrittene Bestellung verteidigt, obwohl vier ihrer EU-Kommissare und eine klare Mehrheit des Europaparlaments ihn ablehnten – doch nun hat Markus Pieper Ursula von der Leyen vor vollendete Tatsachen gestellt. Der CDU-Europaabgeordnete erklärte gegenüber dem „Handelsblatt“, dass er seinen Posten als Sonderbeauftragter für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) mit direkter Berichts­pflicht an die Präsidentin der Europäischen Kommission nicht antreten werde.

Als Grund nannte Pieper das mangelnde Vertrauen in Thierry Breton, den französischen EU-Kommissar für Binnenmarkt, Dienstleistungen, Verteidigung und Raumfahrt. „So, wie Breton meinen Amtsantritt schon im Vorfeld innerhalb der Kommission boykottiert, sehe ich zurzeit keine Möglichkeit, die mit dem Amt verbundenen berechtigten Erwartungen zu erfüllen“, sagte Pieper zum „Handelsblatt“. Pieper warf ihm vor, seine Ablehnung sei „schlechter Stil und ausschließlich parteipolitisch motiviert.“

Storymachine und Piepergate

Am Dienstag legte Pieper auf der Nachrichtenplattform X nach: „KMU und Bürokatieabbau waren und sind Fremdwörter für den französischen Kommissar.“ Nachsatz: „Die Dinge werden nach den Europawahlen anders aussehen, mit den absehbaren neuen Mehrheiten.“ Ob diese kaum verschleierte Drohung an die Sozial­demokraten und Liberalen sich bewahrheitet, ist fraglich. Pieper (61) wird nach nach vier Amtszeiten und 20 Jahren das Europa­parlament verlassen. Seine Euro­päische Volkspartei (EVP) dürfte den Umfragen nach zwar erneut stimmenstärkste Partei werden, allerdings weiterhin auf die langjährige zentristische Koalition mit den Sozialdemokraten und Liberalen angewiesen sein.

Vor allem aber ist diese in Brüssel rasch als „Piepergate“ gebrandmarkte Episode ein neuer Beleg für die Kritik an von der Leyens allzu lässigem Umgang mit den Ethikvorschriften, der Transparenz und der Trennung von Amt und Parteipolitik. Das hat gleich zu Amtsbeginn begonnen, als sie heimlich einen Vertrag mit der Berliner PR-Beratungsfirma Storymachine geschlossen hat, die dem umstrittenen früheren Chefredakteur der „Bild-Zeitung“ Kai Diekmann gehört. Das Verteidigungsschema von der Leyens (beziehungsweise ihrer vorgeschickten Sprecher, selbst äußerte sie sich nie dazu) erinnert an ihren Umgang mit dem Fall Pieper heute: erst hartnäckiges Beharren darauf, dass alles rechtens sei, dann, nach wachsender medialer Befassung mit dem Thema und aufkommender Kritik aus dem Europaparlament, der kleinlaute Ausstieg durch die Hintertür.

Zores mit den Pfizer-SMS

In Piepers Fall lautete die Kritik vier ihrer Kommissare (neben dem Liberalen Breton die drei Sozialdemokraten Nicolas Schmit für Arbeit und Soziales, Paolo Gentiloni für Wirtschaft und Währung sowie Josep Borrell als Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik) sowie einer klaren Mehrheit des Europaparlaments, dass zwei besser bewertete Kandidatinnen (die tschechische Liberale Martina Dlabajová und die Chefin des schwedischen Industrieverbands, Anna Stellinger) übergangen wurden, um einem CDU-Mann das Ende seiner politischen Laufbahn mit einem 19.500-Euro-Posten zu versüßen.

Hier spielte Österreichs EU-Kommissar, Johannes Hahn (ÖVP), der für Budget und Personal zuständig und zudem Vizepräsident der EVP ist, keine rühmliche Rolle. Hahn stellte Pieper und der Kommission noch vorige Woche einen Persilschein aus. Er sei „aufgrund seiner breiten Erfahrung und Erfolgsgeschichte im Bereich der KMU“ ernannt worden. 

Juristisch wirklich heikel könnte für von der Leyen jedoch eine andere Affäre werden, in der sie Fingerspitzengefühl vermissen ließ. Im September 2021 erzählte sie der „New York Times“ erkennbar stolz, dass sie den milliardenschweren Vertrag mit dem Pharmakonzern Pfizer über die Lieferung von Covid-Impfstoff per SMS mit Pfizer-Vorstandschef Albert Bourla eingefädelt habe. Als Europaabgeordnete und Medien später wissen wollten, wo diese SMS seien, lautete die Antwort: Weg, weil gelöscht. Die „Times“ hat deswegen beim Gerichtshof der EU geklagt. Wann das Verfahren angesetzt wird, ist offen. Die Pfizer-SMS-Affäre hängt der EVP-Kandidatin von der Leyen, die ihre eigene Nachfolge anstrebt, jedenfalls wie ein Klotz am Bein.

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