Und übrigens

Taylor Swift lehrt uns, uns artizukulieren

Englisch-Professorin Taylor Swift rettet die Sprache! Na gut, nicht wirklich, aber sie bringt vergessene Vokabeln zurück in den Sprachgebrauch.
Englisch-Professorin Taylor Swift rettet die Sprache! Na gut, nicht wirklich, aber sie bringt vergessene Vokabeln zurück in den Sprachgebrauch.Imago/Image Press Agency
  • Drucken

Pop-Songtexte werden immer simpler. Zur Verfeinerung des Wortschatzes taugen so manche aber noch.

Kulturpessimisten dürfen aufatmen. Wer eine lexikalische Verkümmerung unter jungen Menschen befürchtet hat, hat wohl nicht mit Taylor Swift gerechnet: Eigenhändig erweitert sie den Wortschatz der Generationen Y und Z, pflegt die Poesie, bringt vergessene Vokabeln zurück in den kollektiven Sprachgebrauch. Sie sorgt für kultivierte Ausdrucksformen – ach was, sagen wir es doch: Taylor Swift alphabetisiert die Massen!

Na gut, das ist ein bisserl viel der Ehre für die US-amerikanische Popkönigin, der schon die Rettung der Weltwirtschaft, des Feminismus und der Freundschaftsbänder nachgesagt worden ist. Warum also nicht auch der Sprache? Doch ist ihr Einfluss nicht zu verachten: Wie der ORF recherchiert hat, sind nach dem Erscheinen von Swifts Album „The Tortured Poets Department“ die Google-Suchanfragen für Wörter wie „sanctimoniously“ und „fortnight“ in die Höhe geschossen.

»„Fortnight“ ist ein Zeitraum von zwei Wochen. Im Deutschen brauchen wir noch ein Wort dafür: Zwoche?«

Ersteres heißt „scheinheilig“, zweiteres beschreibt einen Zeitraum von zwei Wochen (wofür wir, finde ich, auch im Deutschen einen Begriff finden sollten, mein Vorschlag: eine Zwoche – können wir das durchsetzen?). Beides Wörter, die für viele nicht zum aktiven Wortschatz gehören. Beides Wörter, die in den Texten von Swifts neuen Liedern vorkommen.

Die Songwriterin mag auf ihrem Album recht deutlich die Pose der geschundenen Poetin – dem Albumtitel gemäß – einnehmen. Aber dass sie in ihrer Lyrik, pardon: in ihren Lyrics eine durchaus erlesene Sprache einsetzt, darf man ihr zugutehalten. Zumal Pop-Songtexte von 1970 bis 2020 tendenziell immer simpler geworden sind, wie eine Studie der Computerwissenschaftlerin Eva Zangerle von der Uni Innsbruck unlängst festgestellt hat. Fies gesagt: So mancher heutiger Popsong wirkt in seiner sprachlichen Komplexität von „Live Is Life“ nicht allzu weit entfernt …

Er war so exaltiert

Dass man mit Pop ganz wunderbar seinen Wortschatz erweitern kann, zeigt aber nicht nur Taylor Swift. Ein erheblicher Teil der deutschsprachigen Bevölkerung kennt das Wörtchen „exaltiert“ wohl nur dank Falco (und stellt sich darunter etwas Punkiges, Amadeushaftes vor). Die Ärzte waren so lieb, die anspruchsvolleren Termini in ihren Songs gleich selbst zu erklären: „Wir blitzen und funkeln“ heißt es etwa im Lied „E.V.J.M.F.“ Und weiter: „Das war ein Hendiadyoin, das wird die Germanisten freu’n.“

Wer in jungen Jahren deren „Schrei nach Liebe“ hörte, ließ es sich freilich nicht anmerken, zum ersten Mal das Wort „Attitüde“ gehört zu haben, wenn es hieß, gerichtet an Neonazis: „Alles muss man dir erklären, weil du wirklich gar nichts weißt. Höchstwahrscheinlich nicht einmal, was Attitüde heißt!“ Später wird’s tröstlicher: „Du hast nie gelernt, dich artizukulieren“ (sic!). Wie gut, dass es dafür Popsongs gibt!

E-Mails an: katrin.nussmayr@diepresse.com

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.