Theater

Marlene Streeruwitz: „Frauen werden getötet und niemand wundert sich“

Christine Pichler
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Das Kosmos Theater ergründet mit „Nachsagungen“ von Marlene Streeruwitz den wenig erzählten Umraum rund um Femizide.

Mord steht in Zeitungsartikeln immer ganz am Anfang. Genauso wie der Täter. Dabei steht der Gewaltakt im Fall von Femiziden meist am Schluss einer langen Beziehung, die von Außenstehenden stumm bezeugt und von kulturellen Strukturen befördert wurde. Das Davor und Danach der eigentlichen Tat beleuchtet das Stück „Nachsagungen“, das am 3. Mai im Kosmos Theater Premiere feiert. Das Regieteam Laura Andreß und Stefan Schweigert hat Fälle von Femiziden in Österreich um­­fassend recherchiert und seine Ergebnisse mit Autorin Marlene Streeruwitz geteilt, die den Text zum Stück verfasst hat. „Es geht darum, die Umgebung von Femiziden abzutasten und dafür zu plädieren, dass die Ermordeten nicht vergessen werden. Das Stück ist eine eindeutige Parteinahme für die betroffenen Frauen“, sagt die ­Autorin.

In sieben Szenen werden Gewaltverbrechen aus den Perspektiven von Angehörigen, Freunden, Zeugen und einer Überlebenden geschildert. Die ehemalige Freundin eines Opfers spricht darüber, wie sich die Betroffene immer weiter in die Beziehung mit ihrem Mann zurückgezogen hat, kaum mehr Zeit fand für ihre Freundinnen, die ihr tatenlos dabei zusahen, wie sie verschwand. Eine Mutter kommt zu Wort, die sich versucht zu erklären, wie gerade ihrer Tochter etwas Derartiges passieren konnte. Und eine Sozialarbeiterin spricht über Männerberatung und den Unterschied zwischen Einzelfall und Muster. Schauspielerin Gerti Drassl, die zuletzt im Film „Persona non grata“ im Kino zu sehen war, steht im Zentrum der Handlung, die auf Redundanzen verzichten will. „Laura Andreß und Stefan Schweigert sind sehr ernsthafte Personen, die niemandes Zeit verschwenden wollen, und das ist im Theater nicht immer der Fall“, sagt Streeruwitz. Drassl wird gleich mehrere Charaktere verkörpern und durch die Szenen führen.

Totenpflege. Streeruwitz hat sich ganz bewusst für eine personale Erzählweise entschieden, Schauspielerin Drassl soll zum Wahrnehmungszentrum des Texts werden. Damit soll sich das Stück von den wissenschaftlichen, nachrichtlichen und soziologischen Veröffentlichungen zum Thema unterscheiden und näher am Menschen stattfinden. „Das Problem ist, dass wir alle über solche Fälle reden, aber es bleibt immer weit entfernt von den Personen“, so Streeruwitz. Sie sieht diese persönliche Auseinandersetzung als eine Art der kulturellen Totenpflege. Und gerade eine fiktionale Erzählung macht es möglich, sich wirklich auf das Thema einzulassen: „Der Fall ist fiktiv, also nie gewesen und damit immer veränderbar. Er stellt keine Last dar, wie echte Fälle, die man sofort verdrängen muss, weil man es nicht aushalten kann. Deshalb ist Literatur das richtige Mittel, um darüber nachzudenken“, so Streeruwitz.

Laut Auflistung der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser kam es in diesem Jahr zu acht Femiziden und 19 mutmaßlichen Mordversuchen oder Fällen schwerer Gewalt gegen Frauen. Als Reaktion da­rauf seien laut Frauenministerium die Gewaltambulanzen und Mädchenberatungsstellen ausgebaut und sei das Frauenbudget erhöht worden. Streeruwitz geht das nicht weit genug: „Es gibt nicht die eine Maßnahme, die alles richtet.“ Vielmehr müsse ganzheitlich in gesellschaftliche Strukturen eingegriffen werden, das fange beim Gendern an und höre nicht zuletzt damit auf, dass man sich einmischt, wenn man sieht, dass Beziehungen eine isolierende oder gefährliche Dynamik annehmen. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, wir warten alle zu lang und mischen uns nicht ein. Familiäre Konstruktionen sind aufgelöst, es fehlt die moralische Instanz, eine Kontrollfunktion“, sagt Streeruwitz. Und nicht zuletzt mangelt es an Empörung: „Allen Leuten fallen die Schultern runter, wenn etwas passiert, aber niemand wundert sich. Wie geht das, dass sich eine ganze Gesellschaft nicht wundert, wenn Frauenmorde passieren?“

Info

„Nachsagungen“. Das Stück von Marlene Streeruwitz mit Gerti Drassl in der Hauptrolle ist vom 3. bis 11. Mai im Kosmos Theater Wien zu sehen. kosmostheater.at

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