„Parlament“ auf Netflix

Lucas Englander: „Europa braucht BürgerInnen, die sich einmischen“

Lucas 
Englander: 
„Ich versuche respektvoll mit den jeweilen Orten umzugehen, an denen ich bin.“
Lucas Englander: „Ich versuche respektvoll mit den jeweilen Orten umzugehen, an denen ich bin.“ Clemens Fabry
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Der österreichische Schauspieler Lucas Englander über seine Rolle in der erfolgreichen ARD/Netflix-Serie „Parlament“, die Vormacht des Geldes und die Chance, als in der Öffentlichkeit stehende Person das europäische Zusammenleben zu gestalten.

Die Presse: Für die Erfolgsserie „Parlament“ haben Sie in den verschlungenen Gängen des Europaparlaments in Brüssel und Straßburg gedreht. Haben Sie sich dort oft verlaufen?

Lucas Englander: Sinnlich, denn ich musste merken, dass ich nichts weiß. Ich war leider mehr als Schauspieler im Europaparlament und weniger als politischer Schüler. Ich hab mir also eine präpotente Schale übergeworfen, weil ich ja jemanden gespielt hab, der dort arbeitet und sich folglich mit den Vorgängen bestens auskennt.

Haben Sie sich als Schauspieler inhaltlich vorbereitet?

Wir hatten Treffen mit Abgeordneten, die uns herumgeführt haben und von ihrem Alltag erzählt haben. Der ähnelt ja jenem der normalen EU-BürgerInnen sehr stark: Wir haben Gespräche mit Menschen und versuchen, die besten Lösungen für Probleme zu finden. Als ich begonnen habe, das zu verstehen, war mir klar: Die EU fühlt sich für die Bürgerinnen und Bürger der einzelnen Nationalstaaten zwar so weit weg an, doch viele der Probleme, um die sich unsere Leben drehen, sind Themen im EU-Parlament.

War das der wichtigste Lerneffekt beim Drehen, dass EU-Abgeordnete Bürger mit denselben Sorgen wie wir alle sind?

Das habe ich zum Zeitpunkt der Dreharbeiten der ersten Staffel noch nicht verstanden, weil ich zu viel Respekt hatte. Dadurch hat sich so ein fantastischer, fast kaiserlicher oder königlicher Schleier über diese Menschen gelegt. Und ich glaube, dass das oft so ist mit Personen in der Öffentlichkeit: Wir kreieren ihnen gegenüber einen Schleier, der völlig fehl am Platz ist, weil diese Menschen uns ja repräsentieren, sei es in der Politik, im Sport oder in der Kunst. Diese Arbeit, die MandatarInnen zu entschleiern, damit beginne ich jetzt erst, indem ich mich selbst mehr über politische Zusammenhänge weiterbilde.

Von den verschlungenen Wegen hin zu gemeinsamen Entscheidungen gehört ja auch, dass es auf der einen Seite einen Idealismus gibt, gleichzeitig aber pragmatische politische Deals. Hatten Sie die Erkenntnis: So geht Politik eben. Oder hat Sie das abgestoßen?

Ich war anfangs eher abgestoßen, weil ich ein idealistisches Herz habe. Das Verständnis, dass jeder Blickwinkel eine Berechtigung zu existieren hat, ist sehr wichtig. Was uns davon abhält, Lösungen zu finden, ist doch oft, dass wir andere Sichtweisen auf dasselbe Problem nicht einmal zulassen.

Es gibt eine Szene in der Serie, in der der Parlamentsbedienstete Eamon Bismarck zitiert, die Gesetzgebung sei wie die Herstellung von Wurst. Besser ist nicht zuzuschauen, wie das geschieht.

Unsere Demokratie ist unheimlich jung. Wir haben viel zu lernen. Wollen wir eine Idee voranbringen, oder geht es nur darum, dass wir gehört werden wollen, weil wir wichtig sein und es auch bleiben möchten? Die Politik hat hier noch viel zu verbessern. In einer Amtszeit, in der es schnell dargebotene populistische Akte braucht, um drinnen zu bleiben, können nachhaltige menschenwürdige Ideen leicht liegen bleiben.

Das politische Geschäft funktioniert aber nicht ohne Kompromisse. Die Frage ist, wie gut sie in einem Haus mit bald 720 Abgeordneten gelingen können.

Vielleicht brauchen wir nicht immer die großen Kompromisse, sondern müssen uns auch auf kleine Taten fokussieren. Dann würden wir nicht endlos dasitzen und uns die Köpfe über Hunderte Seiten lange Texte zerbrechen, die viele Jahre später erst vorangebracht werden. Da kommen wieder die BürgerInnen ins Spiel: Ich bin mir sicher, dass deshalb viele nicht zur Europawahl gehen.

Sie werden aber wählen gehen?

Nein, ich bin für ein autoritäres Regime und werde mir nach diesem Interview die Krone aufsetzen und so durch Salzburg spazieren. Küss die Hand.

Das glauben wir nicht.

Die Frage beantwortet sich von selbst. Ich möchte Menschen ermutigen, dass sie etwas wert sind, dass ihre Meinung gehört wird, wenn sie bei einer Wahl abstimmen.

Wenn Sie sich in Ihre Rolle in „Parlament“ hineinfühlen und als Assistent mit Ihrer Chefin ­inhaltliche Dinge bewegen könn­ten – welche wären das?

Ich arbeite gerade an einem Projekt mit dem Arbeitstitel „Ein Euro pro Woche“: Wenn etwa 2500 Leute der österreichischen Filmbranche in nur einer Woche einen Euro abgeben, dann sammeln sich über ein Jahr 120.000 Euro. Damit schafft man es zum Beispiel, in Graz Umgebung eine Wohnung zu kaufen, die 50 Quadratmeter hat und die man als BürgerInnenstiftung kaufen könnte. So können wir Leute aus der Obdachlosigkeit, an der Armutsgrenze, Alleinerziehende, Flüchtende gemeinsam unterstützen. Wir können in unserer Gesellschaft inklusivere Modelle erstellen, bei denen BürgerInnen aufeinander aufpassen und sehen, dass sie Macht haben, Dinge umzusetzen. Leider sind wir aber gerade in einer Hyperfixierung auf individuelles Leben und individuelles Vorankommen, die uns nicht dazu bringt zu verstehen, dass wir auf einem Planeten leben, der von uns gerade zerfetzt und zerstört wird. Viele Probleme beginnen mit der Angst vor Existenzlosigkeit und dem Gefühl, nicht zu wissen, ob man morgen ohne Dach, ohne Elektrizität oder ohne Essen ist. Das führt zu Furcht, Hass und Gewalt. Da würde ich gerne ansetzen: dass wir Menschen einander eine respektvolle Existenz und Sicherheit geben, und einander unterstützen.

Empfinden Sie das Gemeinsame in Europa zu wenig stark ausgeprägt?

Die Unterstützung, die wir alle durch die EU erleben dürfen, sickert nicht genug zu den Bürgerinnen und Bürgern durch. Großteils deshalb, weil wir in einem System leben, das Finanzen in den Mittelpunkt der Gesellschaft rückt anstatt Fürsorge für die Menschen. Das ist aber nicht ein System der EU, das ist das System, das wir der Welt für den Moment aufgezwungen haben.

Braucht Europa mehr gemeinsame Sozialpolitik?

Absolut. Europa braucht aber auch mehr BürgerInnen, die sich einmischen und gemeinsame Initiativen ergreifen, denn Europa sind eben wir.

Sie arbeiten in vielen EU-Ländern. Haben Sie das Gefühl, dass Europa als gemeinsames Projekt funktioniert, oder arbeitet jeder gegen jeden? Wie ist das in der Filmbranche?

Das Finanzielle gibt auch hier den Ton an, von einem fairen Wettbewerb in der Filmbranche kann keine Rede sein. Das Bewerben eines Films ist wie eine politische Kampagne: Ein Film, der ein höheres Budget hat, wird im Normalfall mehr Menschen ins Kino locken. Was jemand kreiert, sollte aber wichtiger sein als die finanziell ermöglichte Werbe-Propaganda eines Projektes.

Stört das die Kreativität?

Kunst muss die Möglichkeit zur Kreativität haben. In der Filmwelt gehen Menschen öfters hart miteinander um, wenn so viel Geld im Spiel ist. Ich glaube, es würden alle – in der Filmwelt wie in der Politik – gut daran tun zu verstehen, dass ihr Verhalten jeden Tag so vieles verändern, Leid vergrößern oder verkleinern kann. Ich denke da nur an die Klimapolitik: Der Kälteeinbruch der letzten Tage beeinträchtigt die heurige Marillenernte stark. Das hat verheerende Auswirkungen auf Bauern, Bäuerinnen, deren Familien, und auch auf KonsumentInnen. Schon allein deshalb müssen wir uns alle für nachhaltige Lebensweisen einsetzen.

Als was fühlen Sie sich: als Österreicher, als Europäer?

Ich versuche respektvoll mit den jeweilen Orten umzugehen, an denen ich bin. Und ich versuche mich mit einer positiven Grundhaltung von der jeweiligen Kultur beeinflussen und erziehen zu lassen, um sie und mich weiter kennenzulernen. Und dann erlaube ich mir immer mehr zu akzeptieren, dass ich aus Wien komme.

Ist das so schlimm?

Es ist sehr schön, aber es heißt für mich auch aufzugeben, inkognito zu sein. Ich durfte Brite, Berliner, Pariser werden. Und immer mehr habe ich auch eine Gegenwart in meiner eigenen Kultur, wo auch immer ich bin.

Zur Person

Lucas Englander (geb. 1992) ist Schauspieler. In der Serie „Parlament“ spielt er den Assistenten Torsten. 2021 wurde er für seine Hauptrolle im Film „Les apparences“ als bester Nachwuchsdarsteller mit dem César-Award ausgezeichnet.

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