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Maria Farantouri: „Schon in der Antike waren Frauen unsichtbar“

Die griechische Sängerin Maria Farantouri: Wenn ihr die Worte ausgehen, singt sie.
Die griechische Sängerin Maria Farantouri: Wenn ihr die Worte ausgehen, singt sie.AlexiaTyriakidou
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Maria Farantouri gilt wegen ihres unbeugsamen Engagements als „Joan Baez Griechenlands“. Ein Mikis-Theodorakis-Tribute führt sie nach Wien. „Die Presse“ besuchte sie vorab in Athen.

Die Diva empfängt in ihrem Landhaus in Ekali nahe Athen. Hier kann Maria Farantouri durchatmen, sich auf ihre musikalischen Abenteuer vorbereiten, die sie auch mit 76 Jahren immer noch in alle Welt führen. Die große Tür zum Garten steht offen, Zikadengesang und Katzenschnurren umrahmen die Sprechstimme der griechischen Ikone, die sich in den nächsten eineinhalb Stunden auch immer wieder in den Gesangsduktus begibt.

Immer dann, wenn ihr die Worte ausgehen, erzählt sie mit Klängen. Das Wohnzimmer ist voller Artefakten ihrer langen Karriere, an den Wänden hängen gemalte Selbstporträts und Konzertplakate ihrer ruhmreichen Vergangenheit. Von Auftritten mit Juliette Greco und Miriam ­Makeba liest man da, von der Begegnung mit Paul McCartney und John Lennon erzählt sie: Die Frau verwahrt einen Schatz an Erinnerungen hinter ihrer Stirn.

Viele davon sind mit Mikis Theodorakis verbunden, ihrem legendären musikalischen Langzeitpartner, dem am 25. Mai ein Tribut im Wiener Konzerthaus gewidmet ist, an dem sie teilnehmen wird. Theodorakis sei als Komponist von klassischer Musik leider etwas unterschätzt, findet Farantouri. „Dabei hat er bedeutende Kantaten und Oratorien, sogar symphonische Werke geschaffen.“ Für Wien habe sie eine feine Auswahl von Melodien aus unterschiedlichsten Ecken von Theodorakis’ großem Werk getroffen. „Sehr melodische Sachen. Selbstverständlich werde ich auch einen Teil seines Mauthausen-Liedzyklus in Wien singen. Und ein, zwei Überraschungen habe ich mir zu präsentieren vorgenommen. Eine davon betrifft ein rares Arrangement seiner weltbekannten Alexis Sorbas-Melodie.“

Der Komponist von Alexis Sorbas

Tatsächlich ist dem 2021 verstorbenen Theodorakis, der in Mitteleuropa hauptsächlich wegen seiner Widerstandslieder gegen die griechische Militärdiktatur gerühmt wurde, mit dem Soundtrack zu „Alexis Sorbas“ ein Welthit geglückt. Der berühmte Sirtaki, dieser abenteuerliche Mix aus alten griechischen Volkstänzen, der nur entstand, weil Hauptdarsteller Anthony Quinn so ein schlechter Tänzer war, galt kurioserweise fortan als authentischer Volkstanz, obwohl er für eine Hollywoodproduktion ersonnen wurde.

Filmreif wäre auch das Leben von Theodorakis gewesen. Er war Widerstandskämpfer im II. Weltkrieg, wurde später im griechischen Bürgerkrieg verhaftet und gefoltert. Von 1967 bis 1974 war er in Radikalopposition zur Militärdiktatur, wurde wieder inhaftiert, kam aber auf internationalen Druck frei.

Fasziniert von den Stimmen aus dem Radio

Farantouri, die Theodorakis seine „Priesterin“ nannte, sang seine Lieder bereits in Paris, wohin sie damals emigrierte. Schon von Kind an war sie eine leidenschaftliche Sängerin. Fasziniert von den Stimmen aus dem Radio, insbesondere der afroamerikanischen Gospel-, Blues- und Jazzsängerinnen, wich sie von der vorgesehenen Laufbahn als klassische Sängerin ab. „Ich kann mich an keine Phase meines Lebens erinnern, in der ich nicht gesungen hätte. Die Faszination besteht für mich darin, Seele und Technik richtig auszubalancieren. Dabei kommt man immer nur kurz an. Man muss es sich immer aufs Neue erarbeiten.“

»Heute wird doch nur mit Slogans herumgeworfen.«

Maria Farantouri

Für sie und ihre Generation hatte man als Künstler soziale Verantwortung. Das vermisst sie in der aktuellen Szene. „In diesem ganzen Rap und Trap, da wird doch nur mit Slogans herumgeworfen. Social Media und Streaming haben den Umgang mit Liedern leider sehr negativ beeinflusst.“ Farantouri hat in ihrem Leben in erster Linie Poesie gesungen. Von Federico García Lorca über Pablo ­Neruda bis hin zu Iakovos Kambanellis, dem Dichter der berühmten „Mauthausen-Kantate“, die durch die Musik von Theodorakis und den Gesang der jungen Farantouri weltbekannt wurde und die später auch Joan Baez gesungen hat. „Ich war noch sehr jung, als mich Theodorakis dafür engagiert hat. Er sagte mir: ,Maria, schreib dir den Tag und die Stunde auf, denn diese Lieder werden dich ein Leben lang begleiten.‘“ Recht hat er gehabt. 1988 und 1995 sang Farantouri diese Lieder sogar im Konzentrationslager Mauthausen. Jetzt widmet sie diese Lieder den Opfern der aktuellen Kriege in der Ukraine, in Israel und Gaza.

„Meine Gedanken sind bei allen Opfern“, sagt sie. Das Potenzial der Kunst, die Gesellschaft zu verändern, ist ihr immer noch Antrieb. Derzeit beschäftigt sie sich mit jüngst entdeckten antiken Texten von Frauen, in denen sie sich vehement für mehr Teilhabe eingesetzt haben. „Schon damals mussten Frauen für ihren Platz in der Welt kämpfen. Sie waren praktisch unsichtbar. Ihnen nach so langer Zeit als Sängerin nochmals eine Stimme zu geben, das ist mir ein großes Privileg.“

Compliance-Hinweis: Das Interview erfolgte auf Einladung der Konzertagentur Alexandros Karozas.

Auf einen Blick

Maria Farantouri wuchs in Athen auf und wurde mit 16 bei einem Auftritt von Mikis Theodorakis entdeckt, als sie eines seiner Lieder vortrug.

A Tribute To Mikis Theodorakis: Mit Maria Farantouri, Alkinoos Ioannidis, Alkyone & Maria Farantouri Ensemble. 25. Mai, Großer Saal im Wiener Konzerthaus, 19.30 Uhr. Karten: konzerthaus.at/konzert/eventid/61576

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