Debatte

Rammstein-Skandal: Kommt da noch was?

In einem neuen Podcast schildert eine Frau den Sex mit Till Lindemann: „Es hätte ihm bewusst sein müssen, dass das nichts ist, was ich möchte.“
In einem neuen Podcast schildert eine Frau den Sex mit Till Lindemann: „Es hätte ihm bewusst sein müssen, dass das nichts ist, was ich möchte.“Getty/Gie Knaeps
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Vor einem Jahr veröffentlichte Shelby Lynn nach einem Rammstein-Konzert schwere Vorwürfe. Erst kam der Aufschrei, dann Stille. Verändert hat sich seitdem wenig, die Musikindustrie begünstigt Grenzüberschreitungen.

Wer Till Lindemann googelt, findet aktuell spekulative Artikel über das Liebesleben des Rammstein-Sängers. Die Band selbst macht weiter, wie schon seit Beginn des Skandals 2023 um die „Row zero“-Mädchen und die Missbrauchsvorwürfe gegen Lindemann. Derzeit geben Rammstein Konzerte quer durch Europa. Im Herbst tourt der Sänger solo durch die USA. „On the tour with Till Lindemann“ steht im Instagram-Profil von Alena Makeeva – jener Frau, die junge, weibliche, hübsche Fans für die berüchtigte „Reihe null“ bei Rammstein-Konzerten rekrutiert hat, von denen Lindemann sich welche ausgesucht haben soll, mit denen er vor, während oder nach der Show Sex gehabt hat. „Casting director“ steht heute noch bei Makeevas Profil.

Ein Jahr ist vergangen, seit die Irin Shelby Lynn nach einem Rammstein-Konzert ihre Erlebnisse öffentlich gemacht hat: von der „Row zero“, der Backstage-Party und einer „Suck Box“ für Sex unter der Bühne, wo Lindemann sie angeschrien haben soll, weil sie keinen Sex mit ihm wollte. Sie sei unter Drogen gesetzt worden, vermutete sie.

„The girl that got spiked AT Rammstein“ nennt sie sich auf X auch heute noch. Das Mädchen, das bei Rammstein betäubt wurde. Mit Betonung auf „bei“. Lindemann ließ vergangenen Sommer Anwälte aufmarschieren – gegen Lynn und andere, die ihre Erfahrungen teilten und den Verdacht äußerten, dass K.-o.-Tropfen im Spiel gewesen seien, darunter die YouTuberin Kayla Shyx.

Die „Peniskanone“ ist wieder im Einsatz

Polizeiliche Ermittlungen zu Lindemann wurden inzwischen eingestellt – das ist auch Inhalt des bisher letzten Tweets der Band, abgegeben am 23. August 2023. Lynn postete seit September nichts mehr auf X (auf Instagram ab und zu Fotos). Im Gegensatz dazu haben Lindemanns Anwälte erst am 15. Mai eine lange Presseerklärung herausgegeben, bei der es um die Glaubwürdigkeit Lynns geht: Bei einem Drogentest, den die Irin selbst wollte, sei THC nachgewiesen worden, heißt es darin; zudem fehle eine Seite des Polizeiberichts, so bestehe „der Verdacht, dass einzelne Seiten der eidesstattlichen Versicherung entfernt bzw. ausgetauscht und mit neuen Seitennummern versehen wurden, um Informationen über den positiven Test von Shelby Lynn auf THC zu unterdrücken“.

Noch anhängig ist ein Rechtsstreit zwischen Lindemann und dem Magazin „Spiegel“, das groß über den Fall berichtet hat. Auf der Bühne haben Rammstein unterdessen wieder die „Peniskanone“ ausgepackt. Mit dieser spritzt Lindemann Schaum auf die Fans beim Song „Pussy“, den sie nach dem Skandal von der Setlist gestrichen haben.

»Er hat angefangen, mit mir Sex zu haben. Ich habe auch nicht nein gesagt. Ich war ziemlich in Schockstarre. Ich war in dem Moment nur ein Stück Fleisch oder ein Objekt und habe nur gewartet, bis es vorbei ist.«

Cynthia

Ehemaliger Rammstein-Fan

Ist also nichts geblieben vom Skandal um Lindemann? Der deutsche Kulturrat will noch im Juni einen Verhaltenskodex für die Musikindustrie beschließen. Einen Podcast widmen NDR und „SZ“ dem Fall, drei Folgen von „Rammstein – Row Zero“ wurden bereits veröffentlicht, eine weitere soll folgen. Neu ist nicht, was man darin hört. Aber ausführlich. Was Frauen darin schildern, mag nicht strafrechtlich relevant sein, vermittelt aber den Umfang dieses Systems, das mittels „Casting Direktorin“ Makeeva um den Musiker aufgebaut wurde mit dem Zweck, ihm junge Frauen zuzuführen.

Etwa Cynthia (ein Alias), die ihren Sex mit Lindemann schildert: „Gewaltvoll“ nennt sie ihn, spricht von Blut und Schmerzen, dass sie sich als „Stück Fleisch oder Objekt“ gefühlt habe, aber „ich habe auch nicht Nein gesagt“. Doch „es hätte ihm bewusst sein müssen, dadurch, wie mein Körper reagierte, wie ich reagierte, dass das nichts ist, was ich möchte“.

Was Stars brauchen, wird besorgt

Pyrotechnik, Theater und donenrnde Musik: Rammstein ist eine Entertainment-Maschine.
Pyrotechnik, Theater und donenrnde Musik: Rammstein ist eine Entertainment-Maschine. Imago / Max Gaertner

Geht es genau um dieses Schrammen entlang der Grenze zum Missbrauch? Um das Austesten, wie weit man gehen kann? Der Fall Lindemann zeigt ein Sittenbild einer Branche, in der die Grenzen verschoben sind: Rammstein ist eine Entertainment-Maschine, mit Pyro-Shows und Theater, das Zehntausende Karten verkauft. Ein Multi-Millionen-Euro-Unternehmen, getragen von sechs Männern. Was Stars dieser Größenordnung brauchen, um zu funktionieren, wird verfügbar gemacht. Ob illegale Substanzen (wie man es etwa vom Speed-abhängigen Lemmy Kilmister weiß) oder Frauen.

„Das viele Geld und das extreme Machtgefälle haben sexualisierter Gewalt über alle Genres hinweg den Boden bereitet“, schreiben Daniel Drepper und Lena Kampf in ihrem Buch über die Musikindustrie, „Row Zero“. Bei Groupies komme – so schildert es auch Cynthia – hinzu, dass sie aufgrund ihrer (abstrakten) Gefühle für ihr Idol oft mehr dulden, als sie eigentlich wollen.

Wie lässt sich das ändern? Kann es sich ändern? Hat sich Lindemanns Verhalten geändert? Oder bloß die Sichtbarkeit?

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