Siemens: Kaeser verpasst Linz ein blaues Auge

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Kaeser (c) Reuters (THOMAS PETER)
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Der Siemens-Chef startet den Komplettumbau, pulverisiert die Struktur seines Vorgängers und verkauft die Linzer VAI an Mitsubishi. Die Zentrale wandert nach London. Doch es hätte schlimmer kommen können.

München/Linz. Seit Dienstag um sieben Uhr früh ist das Versteckspiel vorbei. Mit einer schlanken Mitteilung machte Siemens-Chef Joe Kaeser seinen Mitarbeitern in Österreich klar, dass der Radikalumbau des Technologiekonzerns auch hierzulande tiefe Spuren hinterlassen wird. Das erste „Opfer“: das Linzer Metallurgie-Unternehmen Siemens VAI. Wie berichtet, verkauft Siemens 51 Prozent des Unternehmens an den japanischen Konkurrenten Mitsubishi Heavy Industries (MHI). Die Zukunft der weltweit 9000 VAI-Mitarbeiter ist ungewiss. „Die Verunsicherung bei der Belegschaft ist groß“, heißt es aus dem Unternehmen. Groß ist auch der Ärger der Betriebsräte.

Denn der Verkauf der VAI liegt schon seit Monaten in der Luft. Genau so lange bissen sich aber die Personalvertreter, heimische Siemens-Mitarbeiter und Journalisten mit Fragen nach der Zukunft des Unternehmens in München die Zähne aus. Nun ist klar: Die Japaner übernehmen das Ruder, die Zentrale wandert nach London. Das ist „höchst unangenehm“, sagte der Angestelltenbetriebsrat Gerhard Bayer und kündigte für den heutigen Donnerstag einen „Protestmarsch“ der 1750 VAI-Mitarbeiter in Linz an.

„Auch eine Chance für die VAI“

Der Verkauf könnte aber auch weitreichende Konsequenzen auf den Standort Linz haben. Denn auch Dutzende Zulieferbetriebe aus der Region sind vom Schicksal der VAI abhängig. „Nach Siemens kommt nun der nächste große Konzern und macht die VAI träge“, ärgert sich Andreas Pichler, Chef von Alpine Metal Tech und früher selbst lange bei der VAI. Dabei müsse das Unternehmen schneller und billiger werden. Die Walzwerke der VAI würden „sicher nicht überleben“. Alleine in Linz wären davon 200 Mitarbeiter betroffen.

Aber nicht alle sehen schwarz: „Es hätte schlimmer kommen können“, sagt ein Branchenkenner zur „Presse“. Erste Drohungen, das Unternehmen könnte an Russen oder Chinesen verkauft und dann ausgeschlachtet werden, sind vom Tisch. Der Standort Linz wird bestehen bleiben. Wenn auch in kleinerer Form. „Das Joint Venture mit Mitsubishi ist auch eine Chance, global wieder Fuß zu fassen“, heißt es. Denn der japanische Eigentümer hat einen Vorteil: Er ist da zu Hause, wo die meisten Aufträge zu holen sind in Asien. Gerade hier hatte die VAI zuletzt Probleme, zu expandieren. Das Manko könnte nun ausgemerzt sein.

Zu groß, zu unübersichtlich

In der Konzernzentrale in München ist der Verkauf der VAI bestenfalls ein Randnotiz. Für Joe Kaeser war er wohl der kleinste Puzzlestein am Tag seines großen Konzernumbaus. Um in Sachen Rentabilität wieder zu den großen Rivalen wie General Electric aufschließen zu können, krempelt der Bayer den 167 Jahre alten Traditionsbetrieb gehörig um. Wie zum Beweis, dass der Schritt überfällig war, legte der Konzern zudem enttäuschende Quartalszahlen vor.

Mit Anfang Oktober will Kaeser nun die 16 Sparten, die sein glückloser Vorgänger Peter Löscher eingeführt hatte, auf neun eindampfen. Im Kern will sich Siemens um die Bereiche Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung der Industrie kümmern. Die Medizintechnik wird als eigene Sparte weitergeführt – und womöglich bald ausgegliedert.

Es ist nicht der erste Versuch, Ordnung in den 360.000 Mitarbeiter großen Koloss zu bringen. Siemens ist zu groß, zu unübersichtlich geworden, um noch lenkbar zu sein, erkannte auch Peter Löscher. Doch seine Strategie, mit straffen Umsatzzielen alle Bereiche gleichermaßen zu Höchstleistungen zu treiben, schlug fehl. Nach fünf Gewinnwarnungen in sechs Jahren musste der gebürtige Österreicher gehen. Kaeser will mit seinem Umbau nun auch die Kosten noch einmal kräftig drücken. Eine Milliarde Euro soll bis 2016 eingespart werden. Bis zu 10.000 Arbeitsplätze weltweit seien gefährdet, heißt es.

„Für Siemens Österreich ändert sich aber wenig“, sagt Unternehmenssprecher Walter Sattlberger. Österreich bleibe weiter für dieselben 18 Länder zuständig, größere Rochaden seien auf Führungsebene nicht zu erwarten. Und auch von möglichen Personalkürzungen werde das Land – mit Ausnahme der VAI in Linz – verschont bleiben. Vieles, was der Konzernchef im „neuen“ Effizienzprogramm von den Ländern fordere, habe Österreich bereits im Vorjahr umgesetzt, erklärt Sattlberger. Etliche hundert Mitarbeiter mussten gehen. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.“

AUF EINEN BLICK

Siemens-Chef Joe Kaeser verpasst seinem Konzern eine Radikalkur. Der schwerfällige Riese soll sieben seiner bisher 16 Sparten verlieren. Eine Milliarde Euro will Kaeser bis 2016 so einsparen. Siemens VAI in Linz wird, wie erwartet, an den japanischen Mitsubishi-Konzern verkauft. Sonst bleibe Siemens Österreich aber weitgehend verschont, so die Hoffnung in Wien. Der weltweite Jobabbau treffe Österreich nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2014)

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