Tagebücher 1914: Stimmen (nicht nur) aus dem Schützengraben

14 - Tageb�cher des Ersten Weltkriegs
14 - Tageb�cher des Ersten Weltkriegs(c) ORF (LOOKSfilm)
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Wie Soldaten, Hausfrauen und Kinder den Ersten Weltkrieg erlebt haben, schildert eine vierteilige Doku ab Dienstag in ORF2 eindrücklich.

Die Deutsche Elfriede Kuhr war zwölf Jahre alt, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Wie viele Gleichaltrige begann sie am 1. August 1914, ein Kriegstagebuch zu führen. In einem der ersten Einträge schilderte sie, wie der Lehrer in der Schule erklärt hatte, ab nun seien Begriffe aus den Feindländern verboten. Französisch sei „die Sprache, die sich wie ein Krebsgeschwür in unserer schönen deutschen Sprache breitmacht“. Das „Adieu“ wurde als Erstes verbannt, die „Mama“ ebenso – die Kinder sollten stattdessen das viel härtere Wort „Mutter“ sagen.

Elfriede Kuhr ist eine von 14 Hauptstimmen, die in der vierteiligen Doku „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“, der aufwendigsten TV-Produktion im 1914er-Gedenkjahr, zu Wort kommen. Vier Jahre lang wurde daran gearbeitet, 19 Länder und Fernsehstationen waren an Bord, in 70 verschiedenen Archiven und mit gezielten Aufrufen wurde nach privaten Aufzeichnungen und Korrespondenzen von „ganz einfachen Menschen“ gesucht. Insgesamt 1000 Tagebücher und Briefe zwischen 1914 und 1918 wurden so zusammengetragen. Aus dieser Masse wurden 14 Protagonisten ausgewählt, deren Erlebnisse in spielfilmartigen Szenen dargestellt werden. Der österreichische Landwirt Karl Kasser (gespielt von David Oberkogler) zum Beispiel, an dessen Aufzeichnungen der ORF über seinen Enkel herankam, musste trotz seines fortgeschrittenen Alters (26) und einer verkrüppelten Hand schon im Sommer 1914 an die Front und wird später von den Russen gefangen genommen. Er schreibt von seiner großen Angst, im Morast stecken zu bleiben, und vom Abschiednehmen lieb gewordener Kameraden, die im Schützengraben an der Ostfront angeschossen werden. Unter den 14 Personen sind britische Krankenschwestern, Kinder wie der zehnjährige Franzose Yves Congar und Jugendliche wie die mutige Kosakin Marina Yurlova. Sie war 14 und lebte in einem kleinen Dorf im Süden Russlands, als der Krieg ausbrach. Sie meldete sich freiwillig für den Kriegsdienst und schlug sich allein bis zur Front durch. In ihrem Tagebuch schilderte sie den Alltag als Soldatin und schrieb von Gasangriffen der Deutschen, ihrer Verhaftung 1917 und ihrer späteren Befreiung.

Käthe Kollwitz und Ernst Jünger

Es war der Wunsch der Filmemacher, die Sicht der „einfachen“ Menschen auf die europäische Katastrophe zu zeigen. Denn in Aufzeichnungen von Literaten, Kriegsherren oder anderen berühmten Persönlichkeiten sei oft spürbar, dass die Texte bereits gezielt für die Nachwelt geschrieben wurden. Dennoch finden sich einige bekannte Personen unter den Erzählern: die Zeichnerin und Sozialdemokratin Käthe Kollwitz, die nicht verhindern konnte, dass sich ihr 18-jähriger Sohn Peter zum Kriegseinsatz meldet und prompt wenige Wochen später an der Front fiel. Die vielleicht berühmtesten Tagebücher dieser Zeit hat der Schriftsteller und Soldat Ernst Jünger geschrieben. Ab dem zweiten Teil der Doku werden Passagen aus seinen 15 Tagebüchern, die er später in seinen „Stahlgewittern“ zusammengefasst hat, nacherzählt.

Die einfühlsame Erinnerungs-Collage, unterlegt mit sehr dichter Musik des französischen Hollywood-Komponisten Laurent Eyquem, macht deutlich, wie sehr die Zivilbevölkerung unter dem brutalen Krieg litt. Egal, ob der Zehnjährige in Frankreich oder die Schülerin in Ostpreußen – Kinder lernten den Feind hassen, Frauen den Russen/Deutschen/Franzosen zu fürchten, Familien sahen die Väter und Brüder weggehen und verkrüppelt oder gar nicht mehr heimkehren. Aus dem Krieg, zu dem viele in den ersten Sommertagen 1914 noch hoffnungsvoll eingestellt waren, weil er schwelende Konflikte lösen sollte, wurde der größte anzunehmende Albtraum für Millionen Europäer.

„14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ in vier Teilen, Dienstag (ab 22.35 h) und Freitag (ab 22.45 h), ORF2.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2014)

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