Leica, wie ein "heißer Kuss"

LEICA-GALERIE EROEFFNET MIT KARAJAN-AUSSTELLUNG IN SALZBURG
LEICA-GALERIE EROEFFNET MIT KARAJAN-AUSSTELLUNG IN SALZBURGAPA
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Vor 100 Jahren revolutionierte Oskar Barnack mit einer kleinen Kamera die Fotografie. Es war die Geburtsstunde der Leica, mit der man erstmals spontane Momente festhalten konnte.

Che Guevara mit Mütze, wie er nachdenklich in die Ferne blickt; ein Matrose küsst eine Krankenschwester auf dem Times Square in New York; ein Mann springt über eine Regenpfütze in Paris; ein nacktes Mädchen läuft mit ausgebreiteten Armen vor einer Napalm-Wolke in Vietnam davon.

Es waren kurze, vergängliche Momente, die in ikonenhaften Fotos festgehalten wurden und Teil unserer kollektiven Erinnerung sind. Auch Jahrzehnte später genügt eine kurze Beschreibung, und jeder sieht das Bild vor seinem inneren Auge. So unterschiedlich die Orte sind, an denen sie gemacht wurden, die Schicksale, die sie festhielten, und die Gefühle, die sie ausdrücken und auslösen, eines haben die Fotos von Alberto Korda, Alfred Eisenstaedt, Henri Cartier-Bresson und Nick Ut gemein: Sie wurden mit einer Leica aufgenommen.

Es gibt vermutlich keinen andere Kameramarke, mit der mehr Geschichte dokumentiert wurde. Der Spanische Bürgerkrieg, der Zweite Weltkrieg, der gesellschaftliche Umbruch in den 1960er-Jahren, der Vietnam-Krieg - für Generationen von Pressefotografen waren Leicas die dominierenden Arbeitsgeräte. Die einzigartigen Bilder, die sie damit über die Jahrzehnte produzierten, machten die Marke berühmt und schufen einen Mythos.
Und von diesem Mythos zehrt der deutsche Hersteller, der an diesem Wochenende sein 100-Jahr-Jubiläum gefeiert hat, bis heute. Die schlichten Apparate aus deutscher Fertigung sind nicht einfach nur Kameras, die qualitativ vielleicht besser als alle Konkurrenten sind, sondern sie sind ein Statement in einer Welt der Instagram-Bilderflut: Mit einer Leica kann man nicht schnell knipsen, man muss innehalten und sich allein schon deswegen mit seinem Objekt beschäftigen, weil man händisch scharfstellen muss. Eine Leica reduziert das Fotografieren auf das Wesentliche. Das bringt Bilder, die aussagekräftiger sind als in Serie geschossene Autofokusmomente.

Deshalb verwenden viele Profifotografen auch heute noch die Sucherkamera M, die mittlerweile auch zu einem Statussymbol geworden ist. Die „New York Times" ortete vor zwei Jahren in einem großen Feature Leicas als neues Must-have der Hollywood-Elite: Selbst Miley Cyrus wurde schon mit einer gesehen. Andreas Kaufmann, österreichischer Mehrheitseigentümer von Leica, machte es sich zu einem Spaß, auf seiner Facebook-Seite Fotos von Prominenten mit ihrer Leica zu posten. Mittlerweile hat er wieder aufgehört, auch deshalb, weil man ihnen teilweise unrecht tut. Nur weil sie bekannt sind, müssen sie nicht automatisch schlechte Fotografen sein: Brad Pitt etwa, der mehrere Leicas besitzt, konstatierte man Talent, als er eine Fotostrecke im „W"-Magazin veröffentlichte. Und auch Jeff Bridges soll ein guter Fotograf sein.

„Kamera fertig". Die Kameramarke hat eine beachtliche Entwicklung hinter sich, seit Oskar Barnack im Jahr 1914 lapidar in seinem Notizbuch festhielt: „Liliput-Kamera fertig." Der Mitarbeiter der Leitz-Werke im deutschen Wetzlar, die optische Geräte hergestellt haben, hat eine kleine, leichte Kamera entwickelt, die regulären Kinofilm im Format 24 x 36 Millimeter verwendet. Eine Revolution im Zeitalter von sperrigen Plattenkameras. Ernst Leitz II gefiel das Produkt: „Im Auge behalten", meinte er.

Man behielt es im Auge, nur kam ein Weltkrieg dazwischen. Erst 1923 ließ Leitz versuchsweise eine kleine Serie bauen (heute begehrte Sammlerobjekte, siehe Bericht rechts). Eine Patrone hielt genug Filmmaterial für 36 Aufnahmen (genau die Länge Film, die Barnack mit ausgestreckten Armen von einer großen Filmrolle abziehen konnte), der Film konnte bei Tageslicht gewechselt werden, und die Leica (Abkürzung von Leitz Camera) war mit 450 Gramm leicht genug, um sie in der Manteltasche zu tragen. 1924 ging die Kamera nach langer interner Diskussion in Serie. „Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert", sagte Leitz - und landete einen Erfolg. Jedes Jahr verdoppelte sich der Absatz, schon 1931 machte die Kamera 54 Prozent des Umsatzes von Leitz aus.

Die „Revolution der Fotografie", mit der Leica warb, war tatsächlich eine: Erstmals hatten Fotografen eine kleine, leise Kamera, mit der sie schnell und unbemerkt arbeiten konnten. Die Leica mit ihren kurzen Verschlusszeiten läutete das Ende der gestellten Fotos ein. Das Festhalten des Alltäglichen, spontane Momentaufnahmen aus dem Leben, Reportagen und hautnahe Kriegsfotos wurden erst mit dieser Kamera möglich. Henri Cartier-Bresson, berühmtester Nutzer der deutschen Kamera, der mit seiner Fotografie Generationen von Fotografen prägte, nannte die Leica die „Verlängerung meines Auges". Sein Theorem vom „entscheidenden Moment" - dem Sekundenbruchteil, in dem ein Fotograf auf den Auslöser drückt und den Kern einer Szene einfängt - wurde erst mit der Leica möglich.

1932 folgte die Leica Modell II, die nicht ganz freiwillig den Grundstein für den japanischen Kamerahersteller Canon legte, der heute weitaus größer als das deutsche Unternehmen ist. Da Leicas in Japan teuer waren - sechs sehr gute Monatsgehälter -, zerlegte Goro Yoshida eine Kamera in ihre Einzelteile und baute sie günstiger nach. Die erste Kwanon war eine 1:1-Kopie der Leica - und nicht die einzige. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste Leica alle Patente offenlegen, die Folge waren weltweite Nachbauten.

Die Deutschen taten, was gute Unternehmen in solchen Fällen tun: Sie waren innovativ. Fünf Jahre lang arbeitete man an der Leica M3 (1949 gab es den ersten Protoyp, 1954 ging sie in Serie). Das M steht für Messsucher, 3 für die drei im Sucher eingespiegelten Bildbegrenzungen für die Brennweiten 50, 90 und 135 Millimeter (erst die M2 brachte ein Weitwinkel mit 35 mm). Und wieder revolutionierte man die Fotografie. Noch heute gilt die M3 als die Leica, an der sich alles misst und orientiert. Die „Süddeutsche Zeitung" beschrieb sie schön als „den Cary Grant der Leica-Modelle", Cartier-Bresson meinte über seine M3: Sie sei wie ein „großer, heißer Kuss".

Krise durch Digitalfotografie. Alles schien gut. Der deutsche Kamerahersteller war weiterhin innovativ, wusste aber offenbar nicht, was er mit seinen Innovationen anfangen soll. So erfanden Techniker schon Ende der 1970er-Jahre den Autofokus, das Management setzte ihn aber nicht um, sondern verkaufte die Patente an Minolta. Die Japaner arbeiteten weiter an der Technik und revolutionierten mit automatisch scharf stellenden Kameras in den 1980er-Jahren die Fotografie.

Der schlimmste Fehler aber, der Leica beinahe in den Pleite führte, war das Ignorieren der digitalen Fotografie. Wieder war man voraus: 1996, mittlerweile war man bei der Leica M6 angelangt, stellten die Deutschen die digitale S1 vor. Zwar war sie langsam, aber es war die erste Digitalkamera, die qualitativ hochwertige Bilder lieferte. Die Reaktion des Markts war verhalten, Leica verlor das Interesse. Der Digitalboom bei Kameras traf die Firma schließlich völlig unvorbereitet. Da man nur Filmkameras zu bieten hatte, sackte der Umsatz auf 92 Millionen Euro ab, der Verlust betrug 18 Millionen Euro. Das Ende war nahe, bis die Rettung aus Österreich kam.

„Vielleicht wären wir nicht eingestiegen, wenn wir den vollen Einblick gehabt hätten", meint Andreas Kaufmann heute. Der 60-Jährige, reich geworden durch die Papierfabrik Frantschach, erwarb 2004 erste Anteile an Leica, später übernahm er die ganze Firma. Jetzt war das Geld da, um neue Produkte zu entwickeln: Mit der ersten digitalen M begann die Erholung, mit der M9 landete man einen Hit. Der Erfolg gab Mut, wieder eine kleine Revolution zu probieren: Eineinhalb Jahre arbeitete Leica an einer einzigartigen M - einer digitalen Sucherkamera, die nur Schwarz-Weiß-Bilder machen kann. Als man die Monochrom im Jahr 2012 präsentierte, war die Fotowelt baff. Da man keine Filter für die Farbsensoren benötigt, zeigen Bilder aus der Monochrom feinste Details.

Verpasster Moment. Nur ein Leica-Fotograf hatte wenig Freude mit seiner Kamera. David Burnett war 1972 mit Nick Ut in Vietnam, als der das als „Napalm-Mädchen" berühmt gewordene Foto machte. Nur hatte Burnett eine ältere Leica als Ut, die den Filmwechsel etwas schwieriger machte. Tatsächlich sieht man auf dem ungeschnittenen Originalbild am rechten Rand einen Fotografen, der an seiner Kamera herumfummelt. „Ich brauchte 20, 30 Sekunden, um den Film in meine störrische Leica zu bringen", erinnerte sich Burnett vor einigen Jahren in der „Washington Post". Er habe den Moment zwar verpasst, aber etwas gebe ihm Trost: „dass ein einziges Foto über alle Sprachgrenzen hinweg eine Geschichte erzählen kann".

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2014)

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