Afghanistan: Obamas Gefangenendilemma

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Der Tausch des letzten gefangenen US-Soldaten gegen fünf Taliban-Führer erleichtert Präsident Obama den Rückzug vom Hindukusch – und schadet zugleich seiner Partei.

Washington. In seinem letzten E-Mail an die Eltern daheim in Idaho, bevor er für fast fünf Jahre in Gefangenschaft der Taliban geriet, machte der Gefreite Bowe Bergdahl kein Hehl aus seinem Hass auf die Armee, in der er diente: „Das System ist falsch“, schrieb der damals 23-jährige am 27. Juni 2009 aus seinem Stützpunkt im äußersten Osten Afghanistans. „Ich schäme mich, Amerikaner zu sein. Die US-Armee ist der größte Witz, über den die Welt lachen kann. Sie ist eine Armee von Lügnern, Intriganten, Dummköpfen und Schikanierern. Die paar wenigen guten Sergeants treten aus, so schnell sie können, und sie raten uns dasselbe.“

Drei Tage später packte er Wasser, sein Tagebuch, ein Messer und einen Fotoapparat in den Rucksack und verließ in den Morgenstunden seinen Außenposten. Bergdahl wollte zu Fuß nach Pakistan, wurde auf dem Weg von Taliban-Kämpfern gefangen genommen und an mehreren Orten, zuletzt in Pakistan, als Geisel gehalten. Am Samstag endeten seine Qualen; er wurde von den US-Streitkräften gegen fünf Taliban-Führer getauscht, die seit mehr als zehn Jahren im Militärgefängnis Guantánamo inhaftiert gewesen waren.

Drohung vor Dukakis-Debakel

Nach Hause zu Mutter und Vater im ländlichen Idaho darf Bergdahl noch nicht; in US-Militärkrankenhäusern, derzeit im deutschen Landstuhl, danach in Texas, wird er seelisch und körperlich aufgebaut; das werde eher Wochen als Tage dauern, sagte einer der Ärzte zur „New York Times“.

Bergdahls Schicksal wurde schon bald nach seiner Gefangennahme durch die radikalislamischen Taliban zum politischen Streitfall. Bereits im Winter 2011/2012 war der Abtausch des Soldaten gegen die fünf Taliban-Führer spruchreif, schrieb der mittlerweile verstorbene Enthüllungsjournalist Michael Hastings im Juni 2012 in einem detaillierten Bericht über den Bergdahl-Fall für das „Rolling Stone Magazine“, aus dem auch die Zitate aus den E-Mails der Familie stammen. Obamas Kabinett habe damals schon den Text einer Pressemitteilung fertig formuliert gehabt, ehe die Taliban einen Rückzieher machten: Sie lehnten die über den deutschen Auslandsgeheimdienst und die katarische Regierung formulierte Bedingung ab, dass die fünf Taliban-Gefangenen Katar nach ihrer Freilassung nicht verlassen dürften.

Dann verhinderte der US-Präsidentschaftswahlkampf 2012 Bergdahls Freilassung: Die Republikaner drohten Obama mit einem „Willie-Horton-Moment“. Horton war ein Mörder, der von einem Wochenendfreigang profitierte, den der damalige demokratische Gouverneur von Massachusetts, Michael Dukakis, eingeführt hatte. Horton mordete während so eines Freigangs, und die Republikaner schwärzten Dukakis im Präsidentschaftswahlkampf 1988 erfolgreich an; George Bush gewann.

Zweckoptimismus in D.C.

Die Freilassung der fünf Taliban-Führer, die allesamt zum Zeitpunkt der Anschläge vom 11. September 2001 in der damaligen afghanischen Regierung tätig waren, ist nun Wasser auf die Mühlen all jener republikanischen Kandidaten für das Abgeordnetenhaus und den Senat, die Anfang November gegen demokratische Rivalen antreten. Sie könnten die Partei Obamas als leichtsinnig und in sicherheitspolitischen Belangen naiv darstellen.

Obamas Entourage wiederum versucht, den Austausch als Test für die Verhandlungsfähigkeit der Taliban darzustellen. Es gilt nämlich als faktisch ausgeschlossen, dass die schwache afghanische Regierung den Kampf gegen die Islamisten nach einem nahenden Abzug der derzeit noch mehr als 30.000 US-Truppen aus dem Land aufrechterhalten  wird können.

Die Zuversicht des Weißen Hauses, mit den Taliban verhandeln zu können, ist aber zweifelhaft. Diese warten bloß darauf, dass die Amerikaner abziehen. Und auch ein Beispiel aus dem Irak-Krieg macht skeptisch: der Tausch des schiitischen Extremisten Oais Khazali, der 2007 die Hinrichtung von vier US-Soldaten organisiert hatte, gegen gefangene Amerikaner hat die Verschlechterung der Sicherheitslage im Irak nicht aufgehalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2014)

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