Porto Alegre: Erdbeer-Caipirinha unter Urwaldblätterdächern

Die südlichste WM-Stadt Brasiliens bietet höchste Lebensqualität: Auf jeden Einwohner kommt ein Baum. In den Alleen stehen Urwaldriesen mit Bromelien. Und das neu gestylte Stadion glänzt mit einem Blätterdach aus Metall.

Für Brasilianer sind sie ein reizendes Klischee, für Brasilien-Newbies aber eine Überraschung: Porto Alegres große und blonde Frauen. Wie das Supermodel Gisele Bündchen haben die meisten Einwohner von Porto Alegre – übersetzt: der Fröhliche Hafen – europäische Wurzeln: deutsche, italienische, portugiesische, polnische... In dem Fifa-Spot für die Fußball-WM wirbt die Blondine für Porto Alegre als Spielort. Die südbrasilianische Metropole ist die Hauptstadt des flachen Bundesstaates Rio Grande do Sul – Pampa, Gaucholand. Und dort, in einer winzigen Stadt im tiefsten Süden Brasiliens, lebt auch die Familie von Gisele Bündchen – inzwischen in sechster Generation. Ihr Vater kann noch Deutsch.

Im neuen Beira-Rio-Stadion von Porto Alegre haben Arbeiter moderne Tribünen für 65.000 Zuschauer installiert. Gigantische Blätter aus weißem Metall rahmen die Arena elegant ein: „Die Blätter dienen als Dach – die Fifa hat einen Regenschutz gefordert“, erklärt Eliana vom Fremdenverkehrsamt. „Die Fußball-WM bringt uns ein gutes Stück voran: In die verrottenden Kais am Hafen sind Cafés und Restaurants eingezogen, ein Gewinn für uns alle.“ Als internationale Kongressstadt ist die Metropole besonders für Mediziner und Stadtplaner aus Hamburg, Washington oder Paris längst ein Begriff. Porto Alegre wartet mit drei Convention- und Expo-Zentren auf sowie ausreichend Hotelbetten, insgesamt knapp 14.000. Für die WM-Gäste aus aller Welt wurden zudem 14 neue Hotels errichtet. Und erreichbar ist die Stadt auch recht gut: Die portugiesische Airline TAP hat fünfmal in der Woche Lissabon – Porto Alegre im Angebot.

In linken Kreisen ist die Gaucho-Hauptstadt als Pilgerstadt der Globalisierungsgegner ein Begriff. Sechsmal fand hier das Weltsozialforum statt, die Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsgipfel. Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff, Tochter eines bulgarischen Kommunisten, begann in Porto Alegre ihre politische Karriere bei der linken Arbeiterpartei (PT). So oft sie kann, verbringt Brasiliens Präsidentin ihre freien Tage in der alten Heimat, bei Tochter und Enkelin.

Die Lebensqualität zählt zu den höchsten lateinamerikanischer Großstädte: Pro Einwohner gibt es einen einen Baum, also mehr als 1,4 Millionen. Doch die brasilianischen Alleebäume sind nicht so domestiziert wie jene in Europa: Märchenhafte, moosbewachsene Urwaldbäume säumen den Asphalt. Zwischen den Ästen leuchten Orchideen und Bromelien. Dann blüht der Baum selbst noch lila oder gelb. Die Urwaldalleen geben der Stadt ein tropisches, wildes Flair.

Grüne Attraktionen

Das schönste Blätterdach hat die Straße Gonçalo de Carvalho – Grüner Tunnel getauft – und für Touristen als „schönste Straße der Welt“ deklariert. Die Linha turismo, der offene Sightseeing-Bus, passiert die grüne Attraktion auf seiner Tour durch das historische Zentrum. Die europäische Tradition spiegelt sich in der Liebe zum Lesen: Im Oktober findet die 59.Buchmesse in der 1,4-Millionen-Stadt statt.

Die Straßen der Gaucho-Hauptstadt sind sauberer als anderswo in Brasilien. Ihre Bürger gelten als Kopfmenschen: interessiert an der eigenen Geschichte, politisch und sozial engagiert. Ein Beispiel: Im charmanten Windmühlenviertel Moinhos de vento kämpfen Nachbarn erfolgreich gegen neue Hochhaustürme. Sie setzten sich für den Denkmalschutz der mondänen Stadthäuser aus den 1930er-Jahren und die zahlreichen stuckverzierten Prachtvillen ein. „Mit jedem alten Haus, das hier fällt, verliert unsere Stadt ein Stück Seele“, heißt es in dem Blog der Bürgerinitiative. Im nahen Windmühlenpark spielt ein junger Mann Gitarre, zwei Freundinnen joggen vorbei. „Die Leute hier lieben frische Luft und sind gut zu Fuß“, erklärt Eliana. Sie mag das noble, urbane Wohnviertel mit seinen Antiquitätengeschäften, kleinen Schönheitssalons und altmodischen Tante-Emma-Läden. Am Wochenende trifft sich nachts in dem In-Viertel Porto Alegres junge Szene. In der Straße Padre Chagas reiht sich Bar an Bar. Unbedingt probieren: Caipirinha aus Erdbeeren oder mit knirschenden Maracujakernen.

Im Mercado Público, der quirligen, historischen Markthalle im Stadtzentrum, lebt die alte Gauchotradition: Es gibt grobe Hüte mit Kinnriemen, rote Halstücher, Männerstiefel und große Sporen. „Das ist kein Kostüm, das sind wir: ehrlich und treu, rau und zart, kämpferisch und sehr musikalisch“, sagt Eliana. Wie die brasilianischen Cowboys liebt auch sie den grünen Mate-Tee, den Chimarrão. Sie saugt an einem Strohhalm aus Silber – und gibt die Teeschale aus ausgehöltem Kürbis weiter. Der Mate-Tee muss kreisen, das gehört sich so in Rio Grande do Sul. Eines der Highlights ist der Blick auf den Guaiba-See bei Sonnenuntergang, ein anderes die ehemalige Industrieruine an der über 15 Kilometer langen Uferpromenade, heute das Kulturzentrum Usina do Gasômetro. Ein Lieblingsort der Jugend, jeder ist willkommen. Fremdenverkehrsamt Brasilien Frankfurt, Börse, Börsenplatz4 +49/69/962387733, braziltour.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2014)

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