Der Kaiserenkel ist zum 100. Jahrestag des Attentats in Sarajewo.
Die Schuld am Ersten Weltkrieg sieht er europaweit im Nationalismus.
An die große Glocke gehängt wurde der Besuch vorab nicht, und das war vermutlich auch gut so: Wenn es unter Bosniens Serben schon Unmut über das Konzert der Wiener Philharmoniker anlässlich des Weltkriegsgedenkens am Samstag gibt, dann kann auch der Besuch des heutigen Oberhauptes des Hauses Habsburg in Sarajewo Emotionen schüren. In kleinem Kreis sprach Karl Habsburg am Freitagabend bei einer Veranstaltung der Paneuropa-Union und der Konrad-Adenauer-Stiftung offiziell über die europäischen Perspektiven von Bosnien und Herzegowina, ganz bewusst in diesem Zusammenhang aber auch über den Ersten Weltkrieg.
Habsburg hält es dabei mit dem Historiker Christoph Clark, dessen Buch "Die Schlafwandler" seit vergangenem Jahr für Furore - und für Widerspruch - sorgt. Er schließt sich der Sichtweise an, die Welt sei damals gleichsam in die Katastrophe getaumelt: "Der politische Wille zu einem großen Krieg war nicht gegeben", ist Habsburg überzeugt. Keiner der damals führenden Staatsmänner habe geglaubt, dass es zu einem so umfassenden Konflikt kommen würde, auch wenn man freilich um die bestehenden Konfliktherde gewusst habe: "Man hat geglaubt, dass sich das lokal begrenzen ließe".
"Nicht einem Land die Schuld zuschieben"
Insofern lehnt es Habsburg auch ab, bei der auch hundert Jahre nach dem Beginn des ersten Weltkriegs umstrittenen Schuldfrage - wie brisant das Thema ist, zeigten erst jüngst zwei Historiker-Konferenzen in der serbischen Hauptstadt Belgrad - "einem Land oder einer Person die Schuld zuzuschieben." Belege dafür, dass niemand den umfassenden Krieg wollte, sieht er in der Mobilisierung der Armeen: Österreich-Ungarn habe anfangs nur in den Grenzgebieten zu Serbien und Russland mobilisiert, Deutschland noch überhaupt nicht, und in Russland habe man nur drei Jahrgänge einberufen.
Habsburg sieht dennoch einen Hauptschuldigen am Krieg: "Ich sehe die Schuld beim Nationalismus in ganz Europa." Im übrigen halte er es für nicht richtig, von einem Ersten und einem Zweiten Weltkrieg zu sprechen. "Es war EIN großer Krieg, denn die Resultate des Ersten Weltkriegs führten direkt in den Zweiten Weltkrieg."
"Das ist übelster Neo-Kolonialismus"
Von den Betrachtungen über die blutige Vergangenheit war es dann nur noch ein kleiner Schritt zum "Friedensprojekt" der Europäischen Union, und Habsburg präsentierte sich in diesem Zusammenhang erneut als vehementer Fürsprecher der Erweiterung: Jedes Land, das die europäischen Werte teile und bereit für einen Beitritt sei, solle auch beitreten können: "Politische Entscheidungsträger, die gegen eine Erweiterung sind, haben entweder die Grundlagen der Union vergessen, oder, man kann es nicht anders nennen, verraten".
Heute zu sagen, dieses oder jenes Land könne prinzipiell nicht beitreten, sei eine der übelsten Formen des Neo-Kolonialismus: "Was mich schockiert, ist, dass auch Vertreter aus der EVP (für die Habsburg selbst in den 90er-Jahren einige Jahre im Europaparlament saß; Anm.), eine Erweiterung heute aus populistischen Gründen hintanstellen."