Friedensplan gescheitert: Auf Kollisionskurs in der Ukraine

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Ukrainischer Präsident hebt Feuerpause im Osten auf. Kreml-Chef Putin geißelt "Epressung" des Westens. EU bereitet Sanktionen vor.

Moskau/Kiew/Wien. In dieser Runde bot es sich an, in die Geschichte abzuschweifen. Umrahmt von weinroten Vorhängen hielt der russische Präsident, Wladimir Putin, gestern in Moskau vor russischen Botschaftern, Regierungsmitgliedern und hohen Beamten eine Rede über die Grundlinien seiner Außenpolitik. Da mussten auch die historische Figur Peter des Großen herhalten und sein Vorstoß in den Schwarzmeerraum, um die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim zu rechtfertigen. Zar Peter I. kämpfte mit seiner modernisierten Flotte gegen Osmanen und Krimtataren und suchte für seinen Kreuzzug vergeblich nach Verbündeten in Europas Herrscherhäusern.

Heute, so scheint es aus Moskauer Sicht, ist Russland wieder allein. Allein diesmal gegen eine Koalition aus Nationalisten (die so titulierte neue ukrainische Regierung) und der Nato, die nach den Kiewer Umbrüchen – hätte es da nicht die Intervention der russischen Armee gegeben – auf der Krim „ihre Truppen stationiert und maßgeblich die Balance am Schwarzen Meer verändert hätten“, wie Putin sagte.

„Unvorhersehbare“ Zeiten

Es ist dieses geopolitische Schreckensszenario, ein Mix aus Sich-bedrängt-Fühlen und der Angst vor Einflussverlust, das den russischen Präsidenten antreibt. Mehrmals verwendet er in seiner Ansprache den Begriff „Schantasch“ – die Erpressung Russlands durch den Westen. Auch die Ukraine sieht er erpresst. Und hinter der ein paar Stunden zuvor aufgekündigten Feuerpause durch Präsident Petro Poroschenko vermutet er Einflüsterungen der USA. Die Erweiterung der Sanktionen durch die EU, die gestern ebenfalls diskutiert wurde, ist für ihn ebenfalls ein unilaterales, abzulehnendes Instrument.

Putin verglich die Lage in der Ukraine mit den seiner Ansicht nach missglückten „externen Interventionen“ anderer Staaten in die Konflikte in Syrien, im Irak und in Libyen. Den (unblutigen) Militäreinsatz auf der Krim aber stellte er abermals als Rettungsaktion der russischen Landsleute dar. Und nahm sich dabei das Recht heraus, dies auch künftig wieder zu tun – auch bei Bürgern, „die sich als Teil der sogenannten weiten russischen Welt fühlen, nicht notwendigerweise nur ethnische Russen, sondern auch jene, die sich als russische Menschen betrachten“. Diese also werde Russland weiterhin unterstützen, angefangen von „politischen und wirtschaftlichen Mitteln bis hin zum im internationalen Recht humanitärer Einsätze vorgesehenen Recht auf Selbstverteidigung“.

Artillerieangriffe auf Separatisten

In der Ukraine schwinden indes die Chancen auf einen Friedensschluss. Die relative Entspannung der vergangenen zehn Tage während der Feuerpause endete Montagnacht. Präsident Petro Poroschenko beendete nach dem Auslaufen des Ultimatums und missglückten Verhandlungen die Feuerpause. „Wir werden angreifen und unser Land befreien“, sagte er in einer TV-Ansprache. Die Waffenruhe ist brüchig gewesen: 27 ukrainische Soldaten sind während der zehntägigen Pause gestorben, 69 wurden verwundet.

Armee-Einheiten griffen am Dienstag wieder Straßensperren und Stellungen der Separatisten an. Dabei kamen Artillerie und Kampfflugzeuge zum Einsatz. „Unsere Streitkräfte nehmen die Stützpunkte der Terroristen unter Feuer“, sagte gestern Parlamentspräsident Alexander Turtschynow. Der Präsident versicherte jedoch, an seinem Friedensplan festzuhalten. Er sei bereit, zur Feuerpause „in jenem Moment“ zurückzukehren, in dem klar wäre, dass alle Seiten ernsthaft an dem Plan mitwirken wollten. Dabei nannte er explizit die Befreiung von Geiseln und eine effektive Grenzkontrolle.

Russland machte dagegen die Ukraine für die neuerliche Eskalation verantwortlich. Moskau und seine europäischen Partner hätten Poroschenko nicht überzeugen können, dass der Weg zu einem „langfristigen Frieden nicht über den Krieg“ zu erreichen sei, sagte Putin bei seiner Rede. Der deutsche Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, berichtete gestern in Bonn, dass man am Montagabend um 22 Uhr nahe an einer Vereinbarung gewesen sei, „die dann doch nicht gehalten hat, um die entscheidenden Schritte nach vorn zu machen“.

EU will erst einmal abwarten

Weiter abwarten wollte am Dienstag dagegen die EU. Die Botschafter der EU-Länder entschlossen sich zu keiner Ausweitung der Sanktionen gegen Russland, da die Entwicklungen vor Ort „unübersichtlich“ seien, wie ein namentlich nicht genannter Diplomat sagte. Bei den nun diskutierten neuen Sanktionen handelt es sich EU-Kreisen zufolge erneut um gezielte Schritte gegen Verantwortliche in Form von Einreiseverboten und eingefrorenen Auslandskonten. 61 Russen und Ukrainer sind bereits mit Strafmaßnahmen belegt, es geht also um eine Ausweitung des Personenkreises. Die EU-Botschafter könnten nun über eine Ausweitung der Strafmaßnahmen am Montag bei ihrem nächsten Treffen beraten. Eine Entscheidung über eine qualitative Verschärfung der Sanktionen („Stufe drei“) könnte erst auf dem EU-Sondergipfel am 16. Juli getroffen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2014)

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