Irak: "Kalif" zeigt sich erstmals öffentlich

Menschen flüchten vor der ISIS
Menschen flüchten vor der ISISAPA/EPA/EMRAH YORULMAZ/ANADOLU A
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Die sunnitische Terrorgruppe ISIS geht im Irak weiter gegen Andersgläubige vor.

Nach dem ersten öffentlichen Auftritt ihres "Kalifen" geht die sunnitische Terrorgruppe ISIS mit rücksichtsloser Gewalt in ihrem irakischen Herrschaftsgebiet weiter gegen Andersgläubige vor. ISIS-Kämpfer entführten am Sonntag zwei Priester und eine Nonne aus einer Kirche östlich von Mossul, wie Augenzeugen berichteten.

Zuvor hatten die Extremisten Moscheen und Grabmäler von Schiiten und als Abtrünnige angesehene Sunniten dem Erdboden gleichgemacht.

Die ISIS (Islamischer Stadt im Irak und in Syrien) verbreitete am Samstag im Internet ein 21 Minuten langes Video ihres Anführers Abu Bakr al-Bagdadi, das in der Großen Moschee in Mossul aufgenommen wurde. Darin hält der selbsternannte Kalif aller Muslime die Freitagspredigt und ruft die Gläubigen zum Dschihad auf. Das Video zeigt Al-Bagdadi schwarz gekleidet und mit einem langen Bart.

"Unsichtbarer Scheich"

Bisher hatte sich Al-Bagdadi vor der Öffentlichkeit verborgen. Von ihm gibt es nur sehr wenige Fotos, weshalb er auch der "unsichtbare Scheich" genannt wurde. Irakische Medien hatten am Freitag berichtet, der ISIS-Chef sei wahrscheinlich bei einem Luftangriff verletzt worden. Auf dem Video sind jedoch keine Verletzungen zu erkennen.

Die Terrorgruppe hatte vor einer Woche im Irak und in Syrien ein Kalifat mit Al-Bagdadi als Kalifen ausgerufen. ISIS beherrscht weite Teile im Norden und Westen des Iraks und auch große Regionen im benachbarten Bürgerkriegsland Syrien. Das erklärte Ziel der Gruppe ist der Marsch auf Bagdad.

Nach einem langen "Heiligen Krieg" seien die Muslime erfolgreich gewesen und hätten ein Kalifat errichtet, sagte Al-Bagdadi in dem Video. Er habe die Führung übernommen. "Wenn ihr meint, dass ich im Recht bin, dann helft mir", sagte Al-Bagdadi. "Wenn ihr meint, dass ich gegen das islamische Recht verstoße, dann beratet mich."

Augenzeugen berichteten am Sonntag, ISIS-Kämpfer seien mit Waffen in eine Kirche in Mossul gestürmt. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Iraq Press richtete sich der Angriff auf eine syrisch-orthodoxe Kirche. Die Agentur spricht von nur einem entführten Geistlichen und einer Nonne. Mossul liegt rund 400 Kilometer nördlich von Bagdad.

Moscheen gesprengt

Zugleich gingen ISIS-Kämpfer mit brachialer Gewalt gegen muslimische Gebetshäuser vor. Bilder im Internet zeigten, wie ISIS-Kämpfer in Mossul und in der Umgebung der Stadt mindestens zehn Moscheen und Grabmäler von Schiiten und als Abtrünnigen eingeschätzten Sunniten in die Luft sprengen oder mit Baumaschinen dem Erdboden gleich machen. ISIS -Kämpfer hätten die religiösen Stätten als "heidnische Tempel" bezeichnet, berichtete das irakische Nachrichtenportal "Al-Mada". ISIS hatte Mossul, die zweitgrößte Stadt des Iraks, Mitte Juni eingenommen.

In dem mehrheitlich von Kurden bewohnten Ort Zur Maghar richteten ISIS-Kämpfer zehn Stammesführer und andere Autoritäten hin. Die Opfer seien erschossen oder aufhängt worden, meldete die kurdische Nachrichtenagentur Bas News. Drei Tote seien an einer Kreuzung an Pfählen hängengelassen worden, um die Bevölkerung einzuschüchtern.

Die irakische Armee konnte einen weiteren Vormarsch von ISIS-Milizen Richtung Bagdad vorerst aufhalten. Regierungssoldaten wehrten einen Angriff der Miliz auf den Luftwaffenstützpunkt Camp Speicher nördlich der Stadt Tikrit ab, wie das irakische Nachrichtenportal "Al-Sumeria News" am Sonntag berichtete. Bereits am Samstag hieß es aus irakischen Sicherheitskreisen, das Militär habe einen Angriff auf die strategisch wichtige Ölraffinerie in Baidshi zurückgeschlagen.

Tikrit liegt rund 170 Kilometer nordwestlich von Bagdad. Armee und ISIS-Milizen kämpfen seit Tagen um die Stadt. ISIS-Milizen attackieren auch Baidshi rund 200 Kilometer nördlich von Bagdad seit Mitte Juni immer wieder. Dort liegen eine der wichtigsten Ölraffinerien des Landes und ein Kraftwerk, das Bagdad versorgt.

Der Präsident der kurdischen Autonomieregion im Norden des Iraks, Massud Barsani, sagte den Zerfall des Landes voraus. "Es gibt hier eine kurdische, sunnitische, schiitische und christliche Identität. Aber keine irakische Identität", erklärte er der "Welt am Sonntag". Die Kurden im Nordirak bereiten derzeit ein Referendum über ihre Unabhängigkeit vor.

(APA/dpa)

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