Schönheitsoperationen: Nie schön genug

Jae-hoon Lee hat neues Selbstbewusstsein getankt. Nach einer Schönheits-OP sind seine Augen größer und seine Nase spitzer.
Jae-hoon Lee hat neues Selbstbewusstsein getankt. Nach einer Schönheits-OP sind seine Augen größer und seine Nase spitzer.Felix Lill
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Nirgendwo auf der Welt lassen sich Menschen häufiger aus ästhetischen Gründen operieren als in Südkorea. Die Chirurgen des Landes haben Weltruhm erreicht, Schönheitstourismus ist ein wichtiges Geschäft geworden.

Endlich hat Jae-hoon Lee das Selbstbewusstsein, das er sich immer gewünscht hat. „Mädels, wollt ihr noch etwas?“ Mit charmantem Blick schöpft er aus der großen Pfanne, um seinen beiden Freundinnen eine zweite Portion des landestypischen Fleischeintopfs Gamjatang zu geben. Die sind begeistert. „Früher war Jae-hoon schüchterner“, sagt seine Studienkollegin Chae-eun Kim. Jae-hoon Lee schaut sich zufrieden im Restaurant in Gangbuk um, dem Nordteil von Südkoreas Hauptstadt Seoul. Es ist Feierabendstimmung, die Menschen essen in kleinen Gruppen, trinken Alkohol, lärmen. 50 Personen passen ins Lokal. Es ist bis auf den letzten Platz besetzt.

„Ich wette, mindestens zehn Leute hier hatten schon eine Operation“, sagt Jae-hoon Lee und schlürft seine Suppe. Als hielte er das für etwas Besonderes, klingt das nicht gerade. „Ich kann es jedem empfehlen.“ Vor vier Monaten ließ der 24-Jährige zuerst seine Augen vergrößern, danach wurde die Nase gerichtet. Das bedeutete Vollnarkose, eine Woche Verbände um den Kopf. „Ich hatte Angst, dass es danebengeht.“ Um die Schmerzen zu rechtfertigen, hält er das große Display seines Smartphones neben seinen Kopf. Es zeigt ein Gesicht mit stumpferer Nase und kleineren Augen. „Ich fühle mich jetzt besser.“

Jae-hoon Lee ist einer von hunderttausenden Südkoreanern, die nachgeholfen haben, um so auszusehen, wie sie es gern hätten. Viele nennen dafür Gründe wie der seit Neuestem extrovertierte Student: „Ich fühlte mich hässlich, und ich fand auch nichts Falsches dabei, das zu beheben.“ Als ihn seine Mutter auf die umgerechnet 2900 Euro Operationskosten einlud, erzählte Lee gleich all seinen Freunden davon. „Jae-hoon war richtig aufgeregt“, sagt Chae-eun Kim grinsend. Dabei ist das fast normal in Südkorea: Mit mehr als 13 pro 1000 Personen hat das Land laut der Internationalen Gesellschaft der ästhetischen plastischen Chirurgie die weltweit höchste Rate an Schönheits-OPs.


Bei Samsung ist keiner hässlich.
„In diesem Land sind eben zwei Dinge wichtig“, sagt Jae-hoon Lee ernsthaft: „Deine akademischen Leistungen und dein Aussehen.“ Das gelte im Beruf, bei der Partnersuche, für die Noten an der Uni. Ein paar seiner Bekannten arbeiten für Samsung, erzählt er. „In deren Kollegenkreis ist keiner hässlich. Als ob das Zufall sein könnte!“ Lees andere Freundin, Hyomin Han, sagt: „In meiner High School waren wir 30 Mädchen und elf hatten damals schon eine OP.“

Weltweit werden laut der in Paris ansässigen Vereinigung plastischer Chirurgen und Dermatologen, IMCAS, im Jahr Schönheitsoperationen im Wert von rund fünf Milliarden Euro durchgeführt. Ungefähr ein Fünftel davon in Südkorea. Die beliebtesten Behandlungen in westlichen Ländern sind Brustvergrößerungen, Fettabsaugungen, Laserbehandlungen und diverse Maßnahmen gegen Falten. Im ostasiatischen Raum werden vor allem Augenvergrößerungen nachgefragt und Operationen, um die Nase spitzer zu machen. Und anders als in vielen westlichen Ländern spielen in Südkorea auch Schönheitsoperationen für Männer eine wichtige Rolle. Mehrere Umfragen haben gezeigt, dass rund die Hälfte junger Männer schon einmal über eine Schönheits-OP nachgedacht hat.

Ein paar Kilometer südlich des Restaurants, in dem die jungen Freunde ihr gutes Aussehen begießen, reiht sich ein Glasgebäude an das andere. In Gangnam, dem Nobelviertel der südkoreanischen Hauptstadt, ragen zwischen Filialen mit teuren Autos oder Bekleidung auch rund 500 Privatkliniken in den Himmel. Ein Fünftel des nationalen Schönheitsmarktes findet sich in diesem Bezirk, der vor einigen Jahren weltberühmt wurde, als Sänger Psy mit seinem Lied „Gangnam Style“ die Neureichen aus der Gegend aufs Korn nahm.

In den 1950er-Jahren gehörte das damals agrarisch geprägte Südkorea noch zu den ärmsten Nationen der Welt, drei Jahrzehnte später war es dank bilderbuchartigen Wirtschaftswachstums zur Industrienation aufgestiegen. Gangnam ist Symbol für diesen Wohlstand. Aber Kritiker sagen, das Leistungsdenken habe die Gesellschaft so tief durchdrungen, dass es vor keiner Sphäre mehr haltmache. Zumindest in Gangnam sind fast nur modisch gekleidete Menschen zu sehen, die meisten entsprechen auch dem Schönheitsideal Südkoreas, das die Pop- und Soap-Stars vorgeben, die rund um die Uhr auf den Flatscreens in beinahe jeder Bar des Landes zu sehen sind. Sie haben große Augen, blasse Haut, eine schmale Nase. Das, was auch Jae-hoon Lee wollte.

Im Erdgeschoß einer der neuen Glasbauten torkelt eine Frau mit Gesichtsmaske aus dem Aufzug. Ganz oben, im 18. Stock, spaziert Ji-yeon Jang, ein adretter Herr mit grau melierter Dauerwelle und knallgrünem Kittel, von einer Nasenoperation zurück in sein Büro. Der Blick von seiner Fensterwand geht von seinem Schreibtisch aus dunklem Holz über die Skyline von Seoul. In den 1990ern öffnete Jang eine kleine Klinik für plastische Chirurgie, das Geschäft lief bald so gut, dass er vor einigen Jahren in diesen Turm umzog. Immer mehr Menschen stecken immer mehr Geld in ihre Schönheit. Experten gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl an Schönheitsoperationen in Südkorea deutlich über den offiziellen Zahlen liegt. Ji-yeon Jang würde sich darüber nicht wundern. „Am Tag machen wir mit sieben Chirurgen zehn Operationen. In den letzten Jahren ist unser Geschäft immer weiter gewachsen.“ Auch Jang sagt, dass die meisten Gäste so aussehen wollen wie die Popstars, die in Zeitungsinterviews mittlerweile zugeben, sich unters Messer zu legen. Für das Geschäft von Jang sind solche Geständnisse eine positive Entwicklung. Für seine Kunden auch, glaubt er. „Wir können ihnen bieten, was sie wollen, ohne dass jemand ein schlechtes Gefühl haben müsste. Und weil wir mittlerweile so viel Übung haben, sind die Kunden auch so gut wie immer zufrieden.“


20.000 neue Jobs.
So zufrieden, dass sich die Fähigkeiten koreanischer Chirurgen herumgesprochen haben. Die am schnellsten wachsende Kundengruppe kommt mittlerweile aus China. Bei Ji-yeon Jangs Klinik TheAll machen sie ein Fünftel der Kunden aus, und schon die Hälfte des Umsatzes. Längst bieten koreanische Reiseveranstalter All-inclusive-Pakete an, in denen Flug, Unterkunft, Verpflegung und die Operation inbegriffen ist, im Schnitt kostet das Ganze 10.000 Euro. 486 Milliarden Won (351 Mio. Euro) spielte der Tourismus damit 2012 ein, eine Verfünffachung binnen vier Jahren. Auch der öffentliche Sektor vermarktet Südkoreas Chirurgen im Ausland, in der Hoffnung auf positive Beschäftigungseffekte daheim. 20.000 neue Jobs sollen in den nächsten Jahren im Geschäft mit der Schönheit entstehen.

Verwandte Branchen profitieren von den Erfolgen der Chirurgie längst, zum Beispiel die der Körperpflege. „Früher betraf dieses Geschäft nur Frauen in ihren Zwanzigern, aber heute ist der Trend unabhängig von Alter und Geschlecht“, beobachtet Min-ji Kim vom britischen Marktforschungsunternehmen Euromonitor International. Auch Min-ji Kim sagt: „Die Menschen leben mit der Überzeugung, dass Aussehen mit Erfolg in Verbindung gebracht wird.“ Mit 3,2 Milliarden Euro Jahresumsatz war Südkorea 2013 auch der sechstgrößte Verbrauchermarkt für Hautpflegeprodukte. Nur in deutlich bevölkerungsstärkeren Ländern wird noch mehr ausgegeben.

Auch Jae-hoon Lee hat mehrere Hautcremes im Badezimmer stehen. Und er denkt schon über die nächste OP nach. „Mein Kinn hätte ich gern spitzer, da gibt es eine neue Methode. Meine Knochen würden dabei abgeschliffen werden. Aber irgendwie macht mir so ein Eingriff Angst.“ Rund 6500 Euro kostet die Operation, und von gesundheitlichen Gefahren wurde des Öfteren berichtet. „Aber wenn es am Ende gut aussieht“, sagt der junge Mann und kaut genüsslich, „würde die Sache auch einem guten Zweck dienen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

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