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Morrissey: Kein Weltfrieden in Sicht – aber Pamela Anderson

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Der alte Misanthrop des britischen Pop singt auf „World Peace Is None of Your Business“ über Stiere, Männer und Narren.

„World peace is none of your business. Police will stun you with their stun guns. Or they'll disable you with tasers. That's what government's for...“ Wer, wenn nicht er? Nur von Morrissey können diese Zeilen stammen, von diesem zynischen Misanthropen und militanten Vegetarier, der in seinem Furor immer wieder auch für Entgleisungen gut war, etwa, als er 2011 das Breivik-Massaker verharmloste: „Das ist nichts gegen die Dinge, die täglich bei McDonald's und Kentucky Fried S*** passieren.“

Morrisseys zehntes Solowerk heißt „World Peace Is None of Your Business“; der Titel nimmt es schon vorweg: Dieser 55-Jährige ist nicht altersmilde. Das neue Album (produziert vom mehrfachen Latin-Grammy-Preisträger Joe Chiccarelli) ist von der Grundstimmung mediterraner als der vom Pop-Punk-Produzenten Jerry Finn arrangierte Vorgänger „Years of Refusal“ (2009), erinnert atmosphärisch eher an „Ringleader of the Tormentors“ (2006, Produzent: Tony Visconti). Doch auch diesmal sind der Diva der britischen Popmusik drakonische Texte gelungen. Im hymnenhaften „I'm Not a Man“ distanziert er sich von männlichen Konnotationen („Casanova, Beefaroni, A-ho but lonely“) und schließlich gleich von seinem Geschlecht („I'm not a man. I'm something much bigger and better than a man“); im musikalisch bittersüßen Song „Staircase at the University“ klagt er über fatale Ausprägungen der Erfolgsgesellschaft („If you don't get three A's, her sweet daddy said. You're no child of mine and as far as I'm concerned, you're dead... She threw herself down and her head split three ways“); in „Earth Is the Loneliest Place“ sinniert er zur Flamencogitarre über das desperate Leben.

Der elegische Höhepunkt des Albums ist „Istanbul“. Darin beschreibt er die verzweifelte Suche eines Vaters nach seinem Sohn, der in die Hölle der Prostitution abgeglitten ist. Himmlisch. In „The Bullfighter Dies“ meldet sich wieder der Tierschützer: Niemand weint für den toten Matador, denn: „We all want the bull to survive.“ Ein Induktionsproblem: Morrissey schließt von sich auf andere. Auf alle anderen. So sagte er heuer in einem Interview mit „Billboard“ auf die leidige Frage, ob nicht eine Versöhnung mit dem Ex-Smiths-Gitarristen Johnny Marr möglich wäre: „Ich kenne keine einzige Person, die eine Smiths-Reunion will.“

Da irrt er wohl. Ob er sich auch in den USA geirrt hat? 2006 attestierte er der Weltmacht in „America Is Not the World“ einen zu großen Bauch: „America, you know where you can shove your hamburger?“ Nun lebt er in Kalifornien und hat zwei amerikanische Musen: Ex-„Baywatch“-Badenixe Pamela Anderson, die mit ihm die Liebe zum Tierschutz teilt, und Nancy Sinatra. Beide traten in Promotion-Clips, die im Spoken-Word-Stil gehalten sind, auf. Der Text macht die Musik. Gebannt muss man ihm zuhören.

Übrigens auch seinem Namensvetter, dem Schauspieler David Morrissey, der die Autobiografie des Sängers spricht. Das Buch wurde in Großbritannien zum Bestseller. Darin erfährt der Leser viel über Morrisseys Sozialisation als Kind katholischer Iren in Manchester, prägende Konzerterfahrungen in seiner Jugend (seine Ikonen: T. Rex, David Bowie), aber auch über seine Sexualität. Obwohl er eine mehrjährige Beziehung zum Fotografen Jake Owen Walters hatte, bezeichnet sich Morrissey nicht als homosexuell. „I am a humasexual. I am attracted to humans. But, of course, not many.“

Die meisten Menschen sind für Morrissey schließlich nur „poor little fools“, wie er im ersten Song des Albums singt, der von Didgeridoos eröffnet wird: Morrissey umarmt die Welt(-musik), aber noch lange nicht alle Menschen. Große Platte für einen unversöhnlichen Sommer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2014)

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