Das tödliche Virus breitet sich rasant in der Region aus. Für Michael Kühnel vom Roten Kreuz ist das Hauptproblem das mangelnde Wissen der lokalen Bevölkerung.
Wien/Freetown. Die hoch ansteckende Ebola-Seuche breitet sich derzeit rasant in Westafrika aus: Erst am gestrigen Sonntag wurde der Fall eines für eine Hilfsorganisation tätigen US-Arztes bekannt, der in Liberia an dem Virus erkrankte. Der 33-Jährige hatte bei sich selbst die typischen Symptome festgestellt und sich in eine Isolierstation begeben – ein Ebola-Test fiel positiv aus. Vergangene Woche starb ein Angestellter der liberianischen Regierung in Nigeria an der Krankheit. Doch auch in Sierra Leone – einem der ärmsten Länder der Welt – wütet das tödliche Virus seit über einem halben Jahr. 70 Prozent der Einwohner des westafrikanischen Küstenstaats leben unter der Armutsgrenze. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei rund 57 Jahren.
660 Tote hat die hoch ansteckende Krankheit laut Weltgesundheitsorganisation in Sierra Leone und den zwei Nachbarstaaten Guinea und Liberia bisher gefordert. Die Todesrate liegt zwischen 60 und 95 Prozent. Es ist die bisher verheerendste Ebola-Epidemie in Afrika und das erste Mal, dass das Virus den Westen des Kontinents erreicht. Die Bevölkerung hat Angst; es herrscht Misstrauen gegenüber der unbekannten Infektion und den Schutzmaßnahmen der Sanitäter.
Hauptproblem und zugleich wichtigste Aufgabe von Ärzten und Helfern sei das mangelnde Wissen der Bevölkerung, erklärt Michael Kühnel, Mitarbeiter des Wiener Roten Kreuzes: „Ebola war noch nie da, und keiner weiß: Was ist es? Wie bekommt man es? Wie schützt man sich?“ Gemeinsam mit sechs anderen Sanitätern eines internationalen Rot-Kreuz-Teams war der 38-Jährige vier Wochen lang in Kailahun im Südosten des Landes stationiert. Seit letzter Woche ist der Allgemein- und Tropenmediziner wieder in Österreich.
Mit hohem Fieber und Durchfall ähneln Ebola-Symptome jenen von Malaria. Daher gingen viele Einheimische zunächst von der Tropenkrankheit aus und pflegten ihre infizierten Angehörigen wie gewohnt. Da Ebola aber über Körperflüssigkeiten wie Schweiß, Speichel oder Stuhl übertragen wird, ist es hoch infektiös. Auf diese Weise seien ganze Familien ausgelöscht worden, berichtet Kühnel.
Laufende Sensibilisierung
Deshalb sei es auch so wichtig, die Bevölkerung zu sensibilisieren. Ein bedeutendes Aufklärungsmittel sind Informationsveranstaltungen, zu denen die religiösen Oberhäupter aus der Region eingeladen werden. Sie sollen die lebenswichtigen Informationen in ihren Gemeinden verbreiten. Dazu zählt auch, die Einwohner mit den Beerdigungs- und Desinfektionsmaßnahmen der Helfer, dem „Dead Body Management“, vertraut zu machen.
„Wenn jemand stirbt, ist es nicht nur damit getan, ihn mit Chlor zu besprühen, einzupacken und wegzubringen. Man muss auch das ganze Haus desinfizieren, weil alle Körperflüssigkeiten extrem infektiös sind“, so Kühnel. Traditionellerweise werden Leichname rituell gewaschen und neu eingekleidet. Der medizinische Umgang mit den verstorbenen Angehörigen ist daher besonders problematisch. Es sei eine Herausforderung, die Toten so zu beerdigen, dass keine weiteren Personen infiziert und dennoch ethische, kulturelle und spirituelle Aspekte respektiert werden, erzählt Kühnel.
Die Maßnahmen würden langsam akzeptiert. Dennoch müsse die Sensibilisierungsarbeit laufend stattfinden. Je früher Infizierte ins Krankenhaus kämen, desto größer seien die Überlebenschancen. Allerdings gibt es gegen Ebola weder Impfstoff noch Medikamente. Für die Genesung ist der Körper deshalb auf viel Energie angewiesen. Im Krankenhaus bekommen die Patienten Antibiotika, Malaria-Medikamente und ausreichend Essen.
Eine weitere Aufgabe des Roten Kreuzes im Krisengebiet ist es, lokale Freiwillige zu unterstützen und zu schulen. Kühnel trainierte 14 der Helfer im Dead Body Management. Für vier Dollar pro Tag nehmen sie Tod und Stigmatisierung durch Freunde und Familien in Kauf. Jeder Handgriff beim An- und Ausziehen der Schutzausrüstung muss stimmen: „Es erwischt jeden von uns Erwachsenen. Man ist selbst auch nicht sicher, und das genau ist der Knackpunkt“, schildert Kühnel. Er bewundert das Engagement „seiner Leute“ in Sierra Leone.
Heilungsraten besser
Wichtig ist auch die Arbeit der „Tracer“. Sie beobachten 21 Tage lang täglich, ob sich bei Familienmitgliedern von Erkrankten Symptome – Fieber, Durchfall, Muskelschmerzen, innere Blutungen oder Organversagen – zeigen. Die Inkubationszeit von Ebola ist mit drei Wochen relativ lang. Ist man bis dahin nicht erkrankt, ist die Gefahr für gewöhnlich vorbei. Maßnahmen und Zusammenarbeit wirken, wie Kühnel berichtet: „Die Heilungsraten werden besser. Das ist eines der wichtigsten Dinge, die wir vermitteln. Es gibt Hoffnung, und es kommen jeden Tag Geheilte aus dem Krankenhaus.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2014)