Ungehobene Schätze: Locals, die den Urlaubsalltag inszenieren

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Freizeitforscher Peter Zellmann plädiert für eine Revolution von unten: Die Einheimischen sollten bei der Entwicklung von authentischen, unverwechselbaren Angeboten im Tourismus die treibende Kraft sein.

Wien. Peter Zellmann beschäftigt sich seit 1987 als Leiter des Instituts für Freizeitforschung mit dem Verhalten, den Wünschen und Bedürfnisse der Menschen in Arbeit, Freizeit und im Urlaub. Zur Aufgabenstellung gehört auch die Qualifizierung des Berufsbildes der in Freizeit und Tourismus Beschäftigten.

Die Presse: Österreichs Tourismus steht wirtschaftlich ja ganz gut da, unlängst hat die Wirtschaftsredaktion der „Presse“ dem heimischen Tourismus die Note Gut verliehen. Zu Recht?

Peter Zellmann: Wir haben in der Tourismusentwicklung alles: Strategien, Masterpläne, Leitlinien, Destinationsmanagements und Leuchtturmprojekte. Aber eines haben wir nicht: die grundlegende Erkenntnis, dass sich für den Gast alles um den Urlaubsalltag, um die Inszenierung des täglichen, spontan wahrgenommenen Ferienangebotes dreht. Die eigentliche Innovation im Tourismus wäre daher eine längst überfällige, moderne Angebotsentwicklung.


Berge, Seen, Wellness, Thermen, Urlaubsaktivitäten und -optionen en masse – Österreichs Angebote sind doch so vielfältig wie nie zuvor.

Markenbildung, Vertrieb und Verkauf sind wichtig, keine Frage. Dafür haben wir in Österreich einige wirkliche Experten und ausgezeichnete Manager. Aber was macht die Marke aus? Was ist das Alleinstellungsmerkmal, das Besondere einer Region? Man kann auf Dauer nur etwas verkaufen, woran man selbst glaubt, wovon man überzeugt ist, dass es der selbst definierten Gastgeberrolle entspricht. Im Tourismus nennen wir das bodenständig oder auf Neudeutsch: authentisch.


Haben die Touristiker ihre Hausaufgaben nicht gemacht?

Austauschbarkeiten sind touristische Todsünden. Wenn man aus Hochglanzprospekten, Homepages und Werbefilmen all das an Angebotsdarstellungen herausnimmt, was man unverändert auch in den Werbemitteln anderer Regionen einsetzen könnte (copy and paste), dann bleibt in den meisten Fällen sehr, sehr wenig an unverwechselbaren Aussagen über. Genau dem gilt es entgegenzuwirken. Die wahren Angebotsschätze der Region schlummern in den Köpfen der Einheimischen. Diese unverwechselbaren Kostbarkeiten – oft sind es nur kleine, unscheinbare Dinge – gilt es zu heben.


Und wer sollte das tun? Mit Kleinigkeiten und Details beschäftigen sich Manager ja eher ungern.

Dazu ist es notwendig, alle am Tourismus interessierten Bewohner einzuladen, an dieser „Angebotsentdeckung“ mitzuarbeiten. Die Experten würden sich wundern, was da an Alleinstellungsmerkmalen zutage kommt. Das sind allerdings nicht die sattsam bekannten Natur- und Kulturdenkmäler, es sind landes- oder regionstypische Kostbarkeiten, die nur die Einheimischen kennen: spezielle Naturereignisse, eigenwillige Bachläufe, Pflanzenvorkommen, Baumgrößen und -stärken, Sonderformen, Gebäudeteile, spezielle Blick- und Aussichtswinkel... Diese zusammenzutragen und unaufdringlich bekannt zu machen und zu bewerben, nenne ich die „Inszenierung des kleinen Urlaubsalltags“. Ähnliche Überlegungen gelten für die oft angeführte Kulinarik. Dabei geht es nicht um gute Küche und Haubenlokale, die es annähernd in jeder Region gibt. Es geht um die Schmankerln, die man einzig und allein bei dieser Wirtin, an diesem besonderen Ort oder auf einem entlegenen Bauernhof in dieser Form verkosten kann. Die Landwirtschaft ganz allgemein muss viel mehr als bisher Partner der touristischen Angebotsentwicklung werden.


Wie kann man die Gastgeber motivieren mitzumachen?

Gastgeber einer Tourismusregion sind letztlich alle Einheimischen. Tourismusbewusstsein – „irgendwie hängen wir fast alle vom Tourismus ab“ – und Tourismusgesinnung – „gern ein guter Gastgeber sein wollen“ – sind in Österreich bundesweit überraschend hoch ausgeprägt. Etwa 75 Prozent der Österreicher stimmen dieser Einschätzung zu. Was fehlt, ist die Einbindung dieser Menschen in den Prozess der Angebotsentwicklung.


Der Grund dieses Versäumnisses?

So ein Projekt, das die Ideen möglichst vieler am Tourismus einer Region interessierten Einheimischen sammelt und in eine Markenbildung umsetzt, braucht einfach Zeit – viele Treffen und eine methodisch gut durchdachte Moderation. Das Ergebnis einer solchen Meinungsbildung wäre allerdings eine klare Mehrheit für ein Tourismusangebot, das alle wichtigen Mitwirkenden einbezogen hat, das auf Jahre hinaus eine dynamische Weiterentwicklung des Angebots und damit der Markenwirksamkeit sicherstellt.


Wie lange darf eine solche Angebotsentwicklung dauern?

Zwei Jahre etwa. So viel Zeit nimmt sich in der Regel leider kein Destinationsmanagement. Überschriften erfinden, tolle Homepages gestalten und Verkaufvideos drehen zu lassen geht schneller. Dass all das mit der Wirklichkeit des Urlaubsalltags wenig übereinstimmt, scheint viele Tourismusstrategen oft kaum zu kümmern. Das könnte ins Auge gehen. Darüber können auf Dauer auch wirklich gut gemachte Highlights, Events, Naturereignisse und Kultureinrichtungen nicht hinwegtäuschen. Dieses Leuchtturmprojekt steht noch aus. Was von außen, fremdbestimmt, vorgegeben wird, erreicht in der Regel nicht die handelnden Akteure vor Ort. Und damit auch nicht die Urlauber.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

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