Oxford, Princeton und Harvard sind Karrierestationen des österreichischen Biomathematikers Martin Nowak. Den Österreichern fehle es vor allem an Flexibilität und Selbstvertrauen, meint er. Die Talente seien da.
Die Presse: Sie sind in den 1990er-Jahren nach Oxford gegangen, dann in die USA. Mit dieser zeitlichen und geografischen Distanz – wie nehmen Sie Österreich als Wissenschaftsland heute wahr?
Martin Nowak: Österreich hat eine sehr große Tradition. Wenn man in der Wissenschaftsgeschichte zurückschaut, sieht man, dass ganze Disziplinen in Österreich begonnen haben. Beiträge etwa aus Mathematik, Medizin, Psychologie oder Architektur beeindrucken enorm. Man muss sich die Frage stellen: Wo ist diese Tradition geblieben? Warum ist das nicht mehr so?
Ein österreichisches Spezifikum?
Das ist auch eine europäische Frage. Europa hat die Wissenschaft am Anfang des 20. Jahrhunderts total dominiert. Durch die weltpolitischen Veränderungen wurden die USA der politische Sitz der Macht, und auch die Wissenschaft ist in diese Richtung abgewandert.
Wie ist das Image Österreichs in den USA? Wird Österreich als Wissenschaftsland wahrgenommen oder dominieren Bilder aus „Sound of Music“?
In der breiten Bevölkerung wohl eher „Sound of Music“. Unter den Wissenschaftlern ist das anders. Allerdings denkt man bei den stärksten Wissenschaftsländern Europas erst an Deutschland oder England. Betrachtet man kleinere Länder, dann eher die Schweiz. Österreich hält da nicht ganz mit.
Wie sehen Sie das Potenzial?
Immer wenn ich nach Österreich komme, bin ich beeindruckt von den Leuten, die man an den Universitäten trifft. Oft denkt man sich aber: Die hätten noch größere Karrieren machen können, wenn sie ins Ausland gegangen wären. In der Wissenschaft ist es wichtig, flexibel zu sein und sich nicht zu sehr festzulegen. Man muss Angebote von überall betrachten, egal, ob in Österreich oder im Ausland.
Wandern dann nicht die besten Köpfe ab?
Österreich sollte sich keine Sorgen machen über den sogenannten Braindrain. Man soll keine Angst davor haben, Leute ins Ausland zu verlieren, weil diese Leute für Österreich wichtige Verbindungen darstellen. Daraus ergibt sich ein Netzwerk an Auslandsösterreichern, das der österreichischen Wissenschaft nutzt.
Was vermissen Sie in Österreich, welche Rahmenbedingungen brauchte es?
Es braucht attraktive Postdoc-Positionen. Die sind wichtig, um junge Leute zu unterstützen, die ihre unabhängigen Ideen aufbauen. Man muss attraktive Stellen anbieten, wo die Leute nach der Doktorarbeit forschen können, wo ein Senior Professor mit ihnen arbeitet, aber sie nicht einschränkt. Man könnte mit dem Austro-Postdoc eine sehr attraktive Position schaffen, sodass dann jeder nach Österreich kommen möchte, um da zu forschen.
Wodurch würde sich ein Austro-Postdoc auszeichnen?
Dadurch, dass er gut bezahlt wird. Dass die Leute eine Position bekommen, die attraktiv ist: sowohl, was das Gehalt betrifft, als auch in Bezug auf die Forschungsmittel, die zur Verfügung stehen. Man muss mit den allerbesten Stellen im Ausland mithalten können, damit Personen aus aller Welt nach Österreich kommen und da Spitzenforschung betreiben.
Hat Wissenschaft in den USA einen höheren Stellenwert als in Österreich?
Für die Position des Landes ist es essenziell, eine gute Forschung zu haben. Daran, dass Investitionen in die Wissenschaft direkt mit dem Wohlstand in Verbindung stehen und auch die Industrie profitiert, denkt man in Österreich zu wenig. Interessant ist, dass man in den USA etwa 60.000 Dollar Studiengebühren pro Person und Jahr zahlt. Dennoch versteht jeder, dass die Universität Spenden braucht, weil das nicht genug ist, um die Kosten zu decken. Die Leute sind der Universität ihr Leben lang dankbar und spenden auch.
Stichwort Forschungsfinanzierung: Was braucht es hier in Österreich?
Zu hoffen ist, dass der Staat mehr Forschungsbudget zur Verfügung stellt. Österreich als das reichste Land der EU nach Luxemburg sollte für die Forschung mehr ausgeben können. Damit mehr private Gelder in die Forschung fließen, müsste man die steuerliche Gesetzgebung überdenken. In den USA sind Spenden von der Steuer absetzbar.
Was ist sonst noch anders?
Das große Problem der österreichischen Universitäten ist, dass sie sich die Studenten nicht auszusuchen dürfen. Es gibt international keine Topuniversität, die nicht das Recht auf Auswahl der Studenten hat. Man kann nicht erwarten, dass eine Universität unter den allerbesten ist, aber gleichzeitig alle Personen nehmen muss, die kommen.
Ist den Österreichern Spitzenleistung mitunter sogar suspekt?
Die Österreicher haben ein zu geringes Selbstvertrauen als Gemeinschaft, das muss man anheben. Als Student habe ich den Eindruck vermittelt bekommen, als kleines Land kann man nicht mithalten, das Interessante passiert im Ausland. Mit Globalisierung und Internet spielt es aber keine Rolle, ob man ein kleines Land ist. Die Studenten, die zu mir nach Harvard kommen, sind überzeugt davon, dass das, was sie im Leben erreichen können, völlig von ihnen abhängt und ihnen niemand Begrenzungen setzt.
Erfährt man als Österreicher mehr Anerkennung, wenn man im Ausland erfolgreich ist?
Es ist schwieriger, in Österreich erfolgreich zu sein, als im Ausland. Wer ins Ausland an die richtige Stelle geht, hat bessere Chancen. Topuniversitäten bieten einen Markennamen, wie wenn man als Fußballer sagt „Ich spiele für Manchester United“. Dann hat man die Chance, eine andere Karriere zu machen, als wenn man bleibt. Und dann wird man auch in Österreich mehr wahrgenommen.
Was müsste passieren, damit Sie wieder zurückkommen?
Ich bin ständig mit Österreich in Verbindung, arbeite viel mit österreichischen Studenten und Wissenschaftlern zusammen und bemühe mich auch, die Verbindung für Österreicher nach Harvard herzustellen. Es kommt mir also nicht vor, als ob ich von Österreich weg wäre. Die Frage zurückzukommen stellt sich daher nicht.