Kanadas Außenminister Baird warnt, sich einen Niedergang der USA als Führungsmacht zu wünschen. Im arabischen Raum gehe es zudem „nicht überall den Bach hinunter“.
Die Presse: Die USA sind auf dem Rückzug. Hinterlassen sie ein gefährliches Vakuum in Nahost?
John Baird: Die internationale Gemeinschaft muss verstehen, dass über den USA der Schatten des Irak-Kriegs hängt. Das merkte man auch vor einem Jahr in den US-Debatten nach dem Giftgasmassaker in Syrien. Es gibt eine starke isolationistische Strömung in den USA.
Deuten Gegner des Westens diese Zurückhaltung als Schwäche?
Wir schätzen amerikanische Führung und wollen, dass die USA ihre Werte verbreiten. Wer Amerikas Niedergang will, sollte vorsichtig sein, was er sich da wünscht! Die Folgen wollen wir alle nicht.
War es ein Fehler, in Syrien nicht zu intervenieren?
Wir unterstützten den Versuch von Präsident Obama. Aber er schlug dann einen anderen Weg ein.
Im syrischen Chaos wurden Extremisten des Islamischen Staats (IS) groß. Betrachten Sie diese Terroristen auch als direkte Bedrohung für Kanada?
Der IS bedroht die ganze zivilisierte Welt.
Im Nahen Osten fällt ein Staat nach dem anderen auseinander. Braucht die Region eine komplette Neuordnung?
Ich würde nicht so weit gehen, die Herausforderungen sind riesig. Es gibt kein Drehbuch für die Stabilisierung des Nahen Ostens. Aber wir müssen als Erstes immer an die Sicherheit der dort lebenden Menschen denken. In Libyen retteten wir durch die Intervention zehntausende Menschen. Es geht nicht überall den Bach hinunter. In Tunesien etwa sieht es gut aus. Ägypten ist auf einem viel besseren Weg als vor einem Jahr.
Eine Lektion des Wiener Kongresses von 1814 ist, dass man alle Konfliktparteien an den Verhandlungstisch bringen sollte.
Was heißt das? Sollen wir auch mit IS-Terroristen oder mit der Hamas reden?
Meine Frage galt vor allem staatlichen Akteuren. Kann Assad ein Partner im Kampf gegen die IS-Extremisten sein?
Wir ringen alle um eine Antwort darauf. Aber wir dürfen nicht vergessen: Das ist ein Mann, der seine eigene Bevölkerung vergast hat.
Wäre nach einem Atomdeal eine Allianz mit dem Iran möglich?
Wir haben eine Reihe von grundlegenden Problemen mit dem Iran. Erstens finanziert der Iran internationalen Terror. Zweitens verletzt er die Menschenrechte. Drittens hat er ein bedenkliches Atomprogramm. Wenn die Iraner Atomenergie für friedliche Zwecke verwenden, dann müssen sie nicht Uran anreichern und brauchen keine einzige Zentrifuge.
Kanada hat derzeit keinen Botschafter im Iran. Wird er nach einem Atomdeal zurückkehren?
Das werden wir sehen. Wir haben seit Jahren keinen Botschafter im Iran. Noch gibt es keinen Beweis dafür, dass der Iran einen sinnvollen Atomdeal abschließen will. Es gibt jetzt schon lange Diskussionen. Wir stehen den iranischen Absichten skeptisch gegenüber. Aber es kann nichts Besseres passieren, als dass ich meine Meinung diesbezüglich ändere.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2014)