Eine Maut für politische Sackgassen

German Transport Minister Alexander Dobrindt presents plans for a road toll involving foreign drivers using the German road network, at a news conference in Berlin
German Transport Minister Alexander Dobrindt presents plans for a road toll involving foreign drivers using the German road network, at a news conference in Berlin(c) REUTERS
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Alle gegen die Ausländermaut der CSU: Rot-grüne Länder wollen stattdessen Lkw mehr belasten, Schäuble private Investoren anzapfen. Derweil werden die Schlaglöcher größer.

Berlin. Mitleid, so heißt es oft, sei keine politische Kategorie. Viel eher schon die Schadenfreude. In Berlin macht sich zurzeit beides breit: Schadenfreude darüber, wie sich die bayerische CSU mit ihrer Pkw-Maut für Ausländer in eine Sackgasse manövriert. Aber auch Mitleid mit Alexander Dobrindt, dem treuen Vasallen Seehofers, den der Parteichef mit dem Himmelfahrtskommando betraut hat. Am Freitag erlitt der Verkehrsminister gleich eine doppelte Demütigung.

Zuerst erfuhr Dobrindt, dass die rot-grün regierten Länder im Bundesrat seine „Infrastrukturabgabe“ blockieren wollen, weil sie „zutiefst verärgert über diese unsägliche Mautdebatte“ seien. Stattdessen fordern sie eine erweiterte Lkw-Maut. Zurzeit gilt sie auf Autobahnen und Schnellstraßen (wie in Österreich) und für Laster ab zwölf Tonnen. Künftig soll sie leichtere Gefährte ab 7,5 Tonnen einbeziehen (hierzulande geht es schon mit dreieinhalb Tonnen los) und auf allen Straßen erhoben werden. Denn es seien ja die dicken Brummer, die das Straßennetz ruinierten.

„Rachemaut für Österreicher“

Für eine Replik hatte Dobrindt keine Zeit. Er musste bei Schatzmeister Schäuble vorsprechen. Aber statt um die Umsetzung des Wegezolls, der in Österreich und den Niederlanden für Proteste und Klagsdrohungen sorgt, ging es dem Finanzminister vor allem um sein eigenes, zukunftsweisendes Konzept: Private Investoren wie Banken und Versicherungen sollen die Sanierung der Straßen finanzieren und dafür Einnahmen einer streckenabhängigen Maut kassieren.

Die müssten freilich alle bezahlen, auch die Inländer. Der überzeugte Europäer Schäuble hält wenig von einer Maut, die de facto die Nachbarn diskriminiert. Dobrindt braucht aber seinen Sanktus. Denn zugleich mit der Einführung der Vignette will er die Kfz-Steuer senken, um deutsche Lenker nicht stärker zu belasten. Steuern aber sind Hoheitsgebiet des Finanzministers. Dobrindt hat gewildert, und Schäuble zahlt es ihm heim.

Zwar können seine Pläne erst in der nächsten Legislaturperiode greifen, weil die Große Koalition versprochen hat, die Steuerzahler zu schonen. Aber zuerst Vignette, dann streckenabhängige Maut: Das passt nicht zusammen. CDU-Verkehrspolitiker Oliver Wittke spricht aus, was seine Partei denkt: Eine „Rachemaut für Österreicher“ sei doch nur eine „kleine, verhudelte Lösung im Randbereich“, die den Weg für „eine große Lösung in der Zukunft“ verbaue. Schon in der Vorwoche rebellierten ganze Landesgruppen in der CDU-Fraktion offen gegen das Herzensanliegen der Schwesterpartei. Dobrindt hatte wohl einen Fehler gemacht, als er sein Konzept von den Autobahnen, um die es im Koalitionsvertrag allein ging, auf alle Straßen ausdehnte. Nun machen die Bewohner der Grenzregionen zu Holland, Belgien und Tschechien ihren Abgeordneten die Hölle heiß. Sie fürchten, dass die Nachbarn nicht mehr zum Shoppen kommen, wenn sie eine „Eintrittsgebühr“ zahlen müssen.

Das innenpolitische Sommertheater um die „Maut- und Klauenseuche“ lässt fast vergessen, dass die größte Hürde noch aussteht: die Stellungnahme aus Brüssel, ob die Maut im Einklang mit europäischem Recht steht. In den Medien nimmt die Kritik an Dobrindts „Eckpunkten“ kein Ende: Das Konzept zeuge von antieuropäischem Geist, sei zu bürokratisch und vor allem unter dem Strich, mit Einnahmen von 300 bis 600 Mio. Euro, für all den Ärger viel zu wenig ergiebig.

Auch den Granden der CSU dämmert es, dass die Verengung auf ein einziges Thema, das zu scheitern droht, ihre Machtposition in Berlin schwächt. Seehofer selbst schwankt zwischen Kompromissbereitschaft und Drohgebärde: „Die Maut wird kommen“, nur „wie das ausgehen wird, ob für alle Straßen oder einen Teil, werden wir sehen“. Er sei „dialogbereit“. Zugleich soll Bayerns Ministerpräsident aber drohen, Projekte der Koalitionspartner zu blockieren.

Desolate Straßen

Bei all dem Hickhack bleibt eines unbestritten: Deutschlands Straßennetz ist desolat. Viele Brücken sind nur mehr einspurig befahrbar, auf Landstraßen häufen sich Schlaglöcher. Der Staat investiert zu wenig in den Erhalt der Infrastruktur: 3,4 Mrd. Euro müsste er jedes Jahr zusätzlich einsetzen, um den Substanzverlust der Straßen aufzuhalten, rechnet eine soeben veröffentlichte Studie vor. Deshalb überbieten sich die Parteien mit kreativen Vorschlägen.

Aber ist wirklich zu wenig Geld vorhanden? Die Steuereinnahmen sprudeln wie noch nie zuvor. Aber sie fließen in zusätzliche soziale Wohltaten, wie die Mütterrente und die Rente mit 63, den Wahlversprechen von CDU und SPD. Auch die Einnahmen aus Kfz-Steuer und Spritsteuer landen zu einem guten Teil in den Sozialbudgets. Bei der Ökosteuer war es von Anfang an so. Und wenn doch in Straßen investiert wird, dann selten in die Sanierung – eine publikumswirksame Ortsumfahrung ist den meisten Politikern weit lieber.

PKW-MAUT IN EUROPA

Keine Pkw-Maut gibt es in elf EU-Staaten, darunter in den Niederlanden, Belgien und in Großbritannien.

Vignetten müssen Autolenker in acht EU-Ländern kaufen, darunter in Österreich, der Schweiz, Slowenien, der Slowakei, Tschechien und Ungarn.

Streckenabhängig abgerechnet wird bei neun EU-Mitgliedern, darunter in Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Kroatien und Griechenland.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2014)

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