Warum Schlagbaum-Nostalgie das Flüchtlingsproblem nicht löst

MIKL-LEITNER
MIKL-LEITNER(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen ist kein taugliches Instrument zur Lenkung der Flüchtlingsströme – europäische Quoten hingegen sind es schon.

Die Tatsache, dass die EU einem Fleckenteppich aus Verträgen, Abkommen und Übereinkünften gleicht, hat auch ihr Gutes: Es gibt nämlich in regelmäßigen Abständen diverse Jahrestage zu feiern. Während beispielsweise heuer am 1.Mai das Zehn-Jahr-Jubiläum der Osterweiterung von 2004 begangen worden ist, wird man im kommenden Jahr am 14.Juni auf einen weiteren europapolitischen Meilenstein anstoßen können: den 30.Jahrestag der Unterzeichnung des Schengener Abkommens über den schrittweisen Abbau der Grenzkontrollen. Was als eine Initiative Deutschlands, Frankreichs und der Benelux-Länder begonnen hat, gilt heute als eine der größten Errungenschaften der europäischen Integration – der wahr gewordene Traum von der freien Fahrt für freie EU-Bürger, der immer dann evoziert wird, wenn es darum geht, Europagegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Doch je länger die europäische Wirtschaftskrise andauert, je höher die Arbeitslosenquoten und je größer die Zahl der arbeitswilligen Neuankömmlinge aus dem nahen und fernen Ausland ist, desto weniger sticht der Trumpf Schengen im öffentlichen Diskurs – und desto lauter sind die Stimmen, die nach dem guten alten Grenzschutz als Antidot gegen die Übel der Moderne rufen. Der jüngste – aber beileibe nicht einzige – Schlagbaum-Nostalgiker ist der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, der laut über eine Einführung der Grenzkontrollen nachdenkt. Anlass für diese Überlegung ist der Ansturm der Bootsflüchtlinge aus Afrika, die über Italien in die EU gelangen, und sekundiert wird Seehofer von der österreichischen Innenministerin, Johanna Mikl-Leitner, die innerhalb der Union eine „extreme Schieflage“ ortet und von jenen EU-Mitgliedern, die vergleichsweise wenige Asylsuchende aufnehmen, mehr Engagement verlangt.

Das bevorstehende Jubiläum steht also unter keinem guten Stern. Könnte es gar dazu kommen, dass die Schengen-Zone ihren 30.Geburtstag nicht in ihrer jetzigen Form erlebt, sollte sich die Situation weiter zuspitzen? Wohl nicht. Denn es ist nicht das erste Mal, dass Schengen infrage gestellt wird. Als Italien vor drei Jahren Flüchtlinge aus Tunesien mittels Ausstellung von Visa loswerden wollte, reagierte Frankreich mit einer Wiedereinführung der Grenzkontrollen – was gemäß EU-Vorschriften in Sondersituationen (etwa im Zusammenhang mit Sportgroßveranstaltungen) befristet gestattet ist.


Eine dauerhafte Lösung können derartige Ad-hoc-Maßnahmen allerdings nicht sein, es bedarf einer Neuausrichtung. Denn das bisherige Regelwerk hat eine evidente Schwachstelle: Auf der einen Seite sind jene EU-Länder, in denen Flüchtlinge zum ersten Mal ankommen, für deren Asylverfahren zuständig, auf der anderen Seite können sich diese Flüchtlinge innerhalb der Schengen-Zone (relativ) frei bewegen. Wer zwei und zwei zusammenzählen kann, weiß, dass es Asylanten in spe dorthin zieht, wo die Aussicht auf Arbeit am besten ist – also in den wohlhabenden Norden Europas.

Wer allerdings bei der Reisefreiheit ansetzt, um das Problem in den Griff zu bekommen, schüttet das Kind mit dem Bade aus. Grenzkontrollen würden nämlich nicht nur Flüchtlinge, sondern uns alle betreffen. Logisch betrachtet gibt es also nur einen Weg: Die Asylpraxis muss unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs und der innereuropäischen Fairness neu konzipiert werden – am besten mittels Quotenzuteilung. Diese Quoten dürfen sich allerdings nicht nur nach der Bevölkerungszahl richten, sondern müssen auch die Wirtschaftsstärke mitberücksichtigen – sonst kämen arme und bevölkerungsreiche EU-Mitglieder wie Rumänien zum Handkuss, was nicht der Sinn der Sache sein kann. Ein derartiges Quotensystem hätte auch den Vorteil, dass es an neue Entwicklungen angepasst werden könnte. In einer fernen Zukunft beispielsweise könnten Kontingente dazu dienen, den Bevölkerungsschwund in einzelnen Mitgliedsländern auszugleichen.

EU-Skeptiker werden es nicht gern hören, doch die einzig richtige Antwort auf die Frage nach dem Umgang mit Flüchtlingen lautet: Mehr Europa. Und leider ist zu vermuten, dass diese Antwort auch in einigen EU-Hauptstädten nicht so gern vernommen wird.

E-Mails an:michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2014)

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