Das Dilemma der Tausend-Dollar-Pille

(c) Bloomberg (David Paul Morris)
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Die gute Nachricht: Hepatitis C ist heilbar. Die schlechte: Die Tablette ist so teuer, dass sie nicht jeder Kranke bekommt. Das sollte zu einer Debatte über Gerechtigkeit im Gesundheitssystem führen.

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie leiden an einer schweren, bis dato unheilbaren Krankheit. Dann plötzlich kommt die gute Nachricht: Es gibt ein neues Medikament, das Sie heilen kann. Leider gibt es auch eine schlechte: Sie bekommen es vorerst nicht, erst in einigen Jahren, wenn es Ihnen schlechter geht. Denn die neue Pille ist sehr teuer.

Wie fühlt man sich da? Wütend vermutlich. Für Hepatitis C-Patienten ist dieses Szenario seit heuer Realität. Die neue Sovaldi-Pille kann in einer Kombinationstherapie Hepatitis C heilen. Mit dem symbolträchtigen Stückpreis von 1000 Dollar (750 Euro) ist sie das bisher teuerste orale Medikament. Da die Therapie etwa 90.000 Euro kostet, wird sie in Österreich nur für jene bezahlt, die bereits schwere Leberschäden haben und die alte, billigere Therapie nicht vertragen. Aber immerhin wird Sovaldi von der Kassa bezahlt, das machen nur fünf EU-Länder.

Damit könnte Sovaldi zum Präzedenzfall für zukünftige teure neue Medikamente werden – z. B. eine Krebstherapie um eine Million Dollar pro Jahr. Denn die extrem hohen Kosten werfen zwei Grundsatzfragen auf, erstens: Gibt es ein Limit, wie viel man mit lebensnotwendiger Medizin verdienen darf? Und zweitens: Wie gehen wir damit um, wenn das solidarische Gesundheitssystem nicht mehr jede Hilfe zahlen kann? Das Spannende an der ersten Frage ist vor allem, wer sie stellt. Nicht „Schwellenländer“, sondern US-Senatoren und EU-Politiker. Trotz Verständnis für hohe Forschungskosten und für das Patent-Zeitfenster, in dem die Firmen Profit machen, sieht man hier eine Grenze erreicht. Immerhin hat Sovaldi schon jetzt fast die Hälfte der Forschungskosten wieder eingespielt. Einerseits. Anderseits ist es eben die Aussicht auf hohen Gewinn, die die Forschung antreibt. Wo genau der Punkt wäre, an dem politisch erzwungene geringere Margen zu weniger medizinischen Durchbrüchen führen, weiß keiner. Das ist ein Live-Experiment, an dem wir teilnehmen.

Verdecktes Sparen. Während man über die Pharmafirmen diskutiert (wenn auch nicht transparent, da die Krankenkassen nicht offen legen, welche Folgekosten sie durch Sovaldi einsparen), gibt es über die vorher erwähnte zweite Frage keine Debatte. Dabei ist schon lange klar, dass der der erfreuliche Umstand, dass wir älter werden und das Medizinangebot wächst, zu Mittelknappheit im Gesundheitssystem führt. Bereits 2011 schrieb der deutsche Ethikrat in einer Stellungnahme: Man könne zwar durch Einsparungen den Zeitpunkt, zu dem „schmerzhafte Verteilungsentscheidungen“ erfolgen müssen, hinausschieben, aber nicht verhindern. Eine rechtzeitige Debatte über gerechte Kriterien sei „unumgänglich“.

Oder auch nicht. In Österreich wird sie jedenfalls nicht geführt, wie auch Ulrich Körtner, langjähriges Mitglied der hiesigen Bioethikkommission beklagt. Dabei, sagt er, sei die Frage, ob ein achtzigjähriger Patient die teuerste Hüftprothese brauche, nicht per se unethisch. Darüber dürfe man reden. Denn auch wenn man nicht darüber spricht, wird quasi täglich rationiert. Es geschieht nur verdeckt (z. B. durch Wartezeiten) und die Entscheidung lastet oft auf den Schultern einzelner Ärzte. Wie es anders ginge, zeigt Schweden, wo öffentlich über Prioritäten im Gesundheitssystem diskutiert wurde. Hierzulande dagegen setzt man das Aussprechen von Mittelknappheit sofort mit einer brutalen Kosten-Nutzen-Rechnung bei Verteilungsentscheidungen gleich. Dabei stimmt das Gegenteil: Denn die Ökonomisierung gedeiht eher im Verborgenen. Würde transparent über die Kriterien der Verteilung diskutiert, müsste man diese nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ethisch rechtfertigen.

So eine Debatte würde zudem sicherstellen, dass es unerheblich ist, ob eine Krankheit eine „Lobby“ hat. Hepatitis C etwa trifft oft Drogenabhängige. Könnte das erklären, warum bis jetzt nicht allzu laut über den Zugang zum neuen Medikament diskutiert wurde? Ein ziemlich hässlicher Gedanke.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2014)

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