Das Ende der Hongkonger Proteste ist zwar ein Etappensieg für Peking. Doch in den Städten und in Taiwan haben sie ihre Spuren hinterlassen.
Hongkong. Peking kann aufatmen: In der „rebellischen“ Sonderverwaltungszone Hongkong scheint wieder Normalität eingekehrt zu sein. Nachdem prodemokratische Demonstranten großteils ihre Blockaden im Zentrum der Finanzmetropole abgebaut hatten, öffneten gestern Schulen und Geschäfte wieder. Zudem zeigten sich die Studenten zu Gesprächen mit der Hongkonger Verwaltung bereit. Eine erste Runde findet in den nächsten Tagen statt.
Die Aktivisten hatten dagegen protestiert, dass das KP-Regime die Kandidaten für die Wahl des Hongkonger Regierungschefs 2017 mitbestimmen will. Sie forderten gestern erneut den Rücktritt des KP-freundlichen Premiers Leung Chun Ying. De facto beugten sich die Demonstranten aber einem Ultimatum der Regierung, wohl auch aus Angst vor neuer Gewalt. Für Peking, das eine Eskalation verhindern wollte, ist dies ein wichtiger Etappensieg: Offen ist zwar, ob Leung im Amt bleibt. Dass aber die Studenten freie Wahlen durchsetzen, glauben selbst die Aktivisten nicht mehr.
Doch auch wenn der Druck Hongkongs nicht mehr ganz so schwer auf dem KP-Regime lasten dürfte, hat der Aufstand politische Spuren in Peking hinterlassen: Das rote China hatte befürchtet, dass die Protestwelle auch auf das Festland überschwappen könnte – allen voran auf die Metropolen an der Küste. Tatsächlich wurden mehrere Personen festgenommen, die sich mit den Hongkonger Demonstranten solidarisiert hatten. Vor einer Demokratiebewegung, die das Regime gefährdet, muss sich die Partei aber derzeit nicht fürchten: Es gibt zwar zahlreiche lokale Aufstände, die sich gegen Probleme wie Landenteignung, Korruption, Umweltschäden oder ethnische Repression richten. Von einer landesweit organisierten Bewegung kann aber nicht die Rede sein.
Keine Angst vor „Demokratievirus“
Es ist allerdings kein Zufall, dass zum Höhepunkt des Hongkong-Aufstandes Berichte und Bilder der Demos zensiert wurden. Das zeigt, dass die Studenten einen Nerv getroffen haben. Denn das Regime befürchtet weniger die Ansteckung mit dem „Demokratievirus“ als vielmehr eine „Infektion“ mit dem Hongkonger Frust: Die Unzufriedenheit mit der Partei wächst auch innerhalb der urbanen Mittelschicht. Diese sieht zwar in der KP noch einen Garanten für Stabilität – macht sich aber zunehmend Sorgen um Jobs, Wohnungen und Ausbildung: So dürfte die Wut der Hongkonger auf Korruption im Festland auf offene Ohren stoßen.
Geschadet haben dürften die Proteste aber vor allem einem der ganz großen Zukunftsprojekte von Staatschef Xi Jinping: der „Wiedervereinigung“ mit dem demokratisch regierten Taiwan. Xi hat mehrmals klargemacht, dass „die Frage innerhalb dieser Generation gelöst werden muss“. Für China ist Taiwan eine „abtrünnige Provinz“. Es ist also kein Wunder, dass Taiwanesen die Entwicklungen in Hongkong aufmerksam verfolgen. Nicht nur solidarisieren sich Studenten mit ihren Kommilitonen – einige fuhren sogar zu den Demos in die Finanzmetropole. Erfahrung mit China-skeptischen Aktionen haben die jungen Taiwanesen: Seit Monaten protestieren auf der Insel Studenten gegen die ihrer Meinung nach zu intensive Annäherung von Präsident Ma Ying-Jeou an Peking. Wochenlang blockierten Demonstranten das Parlament, um die Verabschiedung eines Handelsvertrages mit China zu verhindern.
Xi goss nun Öl ins Feuer. In der heißen Hongkong-Phase sagte er, dass eine Unabhängigkeitserklärung der Insel nicht akzeptabel sei – und dass die Volksrepublik das Hongkonger-Modell „Ein Land, zwei Systeme“ für Taiwan anwenden werde. Das klang für viele Taiwanesen wie Hohn. „Wir haben das Angebot ,Ein Land, zwei Systeme‘ nie akzeptiert“, protestierte Premier Jiang Yi-huah. Hongkong dürfte dunkle Schatten über das für November geplante „historische“ Treffen zwischen Xi und Ma werfen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2014)