Liu Jia: "Der Kopf hat seine Zeit gebraucht"

PORTUGAL TABLE TENNIS TEAM EUROPEAN CHAMPIONSHIPS
PORTUGAL TABLE TENNIS TEAM EUROPEAN CHAMPIONSHIPSAPA/EPA/TIAGO PETINGA
  • Drucken

Mit 15 kam Liu Jia aus China nach Österreich und spielt wie heute in Linz nach wie vor auf Topniveau. Mit Kind managt sie den dichten Turnierplan und hat Rio 2016 fest im Blick.

Die Presse: Vor knapp drei Wochen haben Sie sich mit dem Team bei der EM versilbert. Ein besonderer Karrieremoment?

Liu Jia: Das war wunderschön, aber ehrlich gesagt hatte ich noch gar keine Zeit, um das wirklich zu realisieren. Das Programm ist so dicht, dass ich nur von Turnier zu Turnier fahre. Hoffentlich ergibt sich nach der Saison noch die Gelegenheit, das zu feiern – wenn ich dann nicht völlig kaputt bin.

Wie sehr machen sich die Strapazen schon bemerkbar?

Körperlich bin ich am Limit, und ich merke, dass mir alles fast schon zu viel wird. Aber da muss ich jetzt einfach durch. Ich habe erst lernen müssen, dass ich nicht zu allem Ja sagen und bei jedem Termin dabei sein kann. Regeneration ist sehr wichtig und gehört einfach zum Leistungssport dazu.

Heute erwartet Sie mit dem Weltcup in Linz das nächste Highlight. Wie groß ist die Vorfreude?

Aus sportlicher Sicht ist es ein Wettkampf wie jeder andere, aber natürlich kenne ich die Halle sehr gut und fühle mich sehr wohl. Ich spüre aber auch den Druck, denn es sind so viele Leute rund um mich, die mitgearbeitet und geholfen haben. Die Tagesform wird wichtig sein, aber vor allem gilt es im Kopf cool zu bleiben, damit wir am Ende alle gemeinsam ein gelungenes Event feiern können.

Erstmals findet der Bewerb außerhalb Asiens statt, das chinesische Fernsehen überträgt live. Welchen Stellenwert hat dieses Turnier?

Der Weltcup zählt zu den größten Events in der Tischtennis-Welt. Es ist ein echtes Wunder, dass eine kleine Stadt wie Linz das austragen darf. Auf der Straße sprechen mich Leute an und fragen, wie wir das geschafft haben. Wir können wirklich stolz sein, denn dahinter steckt sehr viel Arbeit. Millionen Menschen werden zuschauen und hoffentlich ein erstes Bild davon erhalten, wie schön es in Linz ist.

Sie selbst sind zum neunten Mal und damit am öftesten aller diesjährigen Teilnehmerinnen dabei.

Das freut mich, denn es bedarf harter Arbeit, um sich immer wieder an der Spitze zu beweisen. Nur wenn man wirklich gut spielt, darf man als Lohn auch bei solchen Turnieren mitspielen.

Sie vertreten Österreich seit über einem Jahrzehnt auf höchstem Niveau. Wie hat sich die Sportlerin Liu Jia verändert?

Ich habe mich entwickelt und bin heute stabiler, lockerer und viel gelassener. Das spielerische Können war immer schon da, aber der Kopf ist jetzt viel weiter. Das hat seine Zeit gebraucht. Der Siegeshunger ist gleich groß wie früher. Im Leistungssport ist das Vergangene vorbei, da heißt es sowieso immer nach vorn zu schauen.

Gleich geblieben ist Chinas Dominanz. Woran liegt das?

Der Stellenwert von Tischtennis ist in China einfach ein ganz anderer als in Europa. Hier ist es eine Randsportart, dort zählt es zu den absoluten Top-Sportarten. Das ganze System und die Trainer sind dementsprechend ausgebildet, daher wird sich so schnell auch nichts an dieser Vormachtstellung ändern. Dort spielen sicher allein um die 200.000 Kinder, bei uns gerade einmal 40. Da müssen wir froh sein über das, was wir geschafft haben.

Wie sehen Sie die vielen Einbürgerungen chinesischer Spieler?

Die Verbände wollen schnell Leistungen sehen, denn nur bei entsprechenden Erfolgen gibt es auch Förderungen. Das ist ein echter Teufelskreis, über den man endlos diskutieren könnte. Den Chinesen allein darf man das jedenfalls nicht zum Vorwurf machen. Schließlich fragt am Ende niemand danach, ob die Medaille von einem gebürtigen Österreicher, Deutschen oder Chinesen gewonnen wurde. Ich glaube, dass es in Österreich genug Talente gibt, aber es kümmert sich leider niemand um sie. Weder in den Vereinen noch im Verband gibt es ein Fundament, es fehlt an Geld und Unterstützung. Und wer in der Basisarbeit die Qualität nicht bietet, kann an der Spitze nicht mithalten.

Mütter sind im Leistungssport eine Seltenheit. Wie managen Sie den Alltag mit ihrer dreijährigen Tochter?

Mutter zu sein ist eine wunderschöne Sache, aber natürlich auch sehr anstrengend. Zu großen Turnieren nehme ich sie nicht mit, dazu ist sie noch zu klein. Angesichts meiner knappen Zeit versuche ich bei allem auf die Qualität zu schauen. Ich gehe nicht mehr für sechs bis acht Stunden in die Halle, sondern nur noch für zwei bis drei – und achte dafür auf qualitativ hochwertiges Training. Wenn ich dann Zeit mit meiner Tochter verbringe, dann ist meine Aufmerksamkeit zu 100 Prozent bei ihr. Das alles geht aber nur, weil ich viel Verständnis von allen Seiten und Unterstützung durch Familie und Freunde bekomme.

Sie sind jetzt 32. Denkt man da manchmal schon über das Karriereende nach?

Bis zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio gebe ich noch einmal Vollgas. Danach werde ich die Intensität sicher reduzieren, denn ich habe genug von den vielen Turnieren und Reisen. Einen konkreten Plan gibt es aber noch nicht, solange der Spaß da ist, werde ich sicher weitermachen. Auf jeden Fall möchte ich mein Know-how weitergeben. Ich sehe mich aber eher nicht im Spitzenbereich, sondern an der Basis. Ich möchte mithelfen, junge Spieler aufzubauen und zu fördern.

ZUR PERSON

Liu Jia wurde 1982 in Peking geboren. Das harte Tischtennis-Training und das Leben im Internat behagten ihr nicht und mit 15 übersiedelte sie nach Linz. Seit 1998 tritt „Susi“ für Österreich an, holte u.a. 2005 EM-Gold und Ende September mit dem Team EM-Silber. Heute (ab 11 Uhr, ORF Sport+) spielt sie beim Weltcup in Linz. Seit 2011 ist Liu Jia mit dem dänischen Profi David Arvidsson verheiratet und Mutter einer Tochter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Liu Jia
Mehr Sport

Tischtennis: Liu scheidet in Linz gegen Olympiasiegerin aus

Liu Jia lieferte sich mit Ding Ning ein enges Match, wehre fünf Matchbälle ab. Am Ende musste sie sich aber doch 4:3 geschlagen geben.
 TABLE TENNIS TEAM EUROPEAN CHAMPIONSHIPS
Mehr Sport

Tischtennis: Weltbeste Damen gastieren in Linz

Beim Women's World Cup schlägt Liu Jia neben Nummer eins der Welt und Olympiasiegerin auf.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.