82 Argentinien

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Warum ein Teil von mir unabänderlich glaubt, Franz Vranitzky sei Österreichs Kanzler.

Als ich im Jänner 1997 nach Argentinien flog, war Franz Vranitzky österreichischer Bundeskanzler. Am 25.1.97 wurde in Pinamar (nahe Buenos Aires) der Pressefotograf José Luis Cabezas entführt und mit zwei Genickschüssen hingerichtet. Anschließend verbrannten die Täter seine Leiche und sein Auto. Halb Buenos Aires ging auf die Straße und verlangte Aufklärung: Cabezas schien mit Recherchen einem angesehenen Mafiaboss in die Quere gekommen zu sein.
Die Tat fiel in eine Periode, in der Argentinien dabei war, sich mit der Vergangenheit auszusöhnen: Ein übergewichtiger Diego Maradona plante ein Comeback in Uruguay, die Schauspielerin Madonna spielte die Rolle der Evita Perón, der Peso war 1:1 an den Dollar gekoppelt. Im März kam ich nach Österreich zurück. Alle behaupteten, das Land habe einen neuen Kanzler: Finanzminister Klima habe Vranitzky abgelöst. Das mochte sein. Doch tief in mir drinnen blieb Vranitzky Kanzler. Und blieb es für mich, bis das Verbrechen an José Luis Cabezas aufgeklärt wurde.

Am 1. Februar 2000 fragte mich ein Taxifahrer in Mendoza, der angenehmen „Gartenstadt“ am Fuße der Anden, wo ich denn herkäme. „Austria“, sagte ich. „Austria!“, schüttelte er fassungslos den Kopf, „problemas, problemas!“ Ich hatte den Vorfall fast vergessen, als ich abends das Hotelzimmer betrat. Ich drehte das TV an und erstarrte: Der österreichische Autor Doron Rabinovici blickte mir entgegen. Mir wurde übel. Nicht wegen Doron – ich mag ihn gerne – sondern aufgrund der gruseligen Tatsache, dass gerade er plötzlich in mein Hotelzimmer in Mendoza schaute!
Aus dem Beitrag ging hervor, dass die Herrschaft Klimas, an den ich ohnehin nie recht geglaubt hatte, von einem nationalsozialistischen Unrechtsregime abgelöst worden war, dass Österreichs Volk jedoch immerhin dagegen demonstrierte. Ich war beinahe enttäuscht, als mir klar wurde, kein echter Hitler-Nachkomme, sondern lediglich der farblose Politiker Wolfgang Schüssel hatte die Kanzlerschaft an sich gerissen. Und ich? Erneut im Ausland! Und dazu verurteilt, lebenslang an Phantomkanzler Vranitzky zu glauben?
Schüssel wurde vom argentinischen TV aufgrund eines Missverständnisses als „richtige Sau“ bezeichnet (was mich zum Lachen brachte), kam jedoch auch selbst zu Wort. Leider war er auf Argentinisch synchronisiert. Der Neo-Kanzler forderte, man solle sein Land doch bitte nicht – ich verstand das Wort ungenau – zum „felpudo“ Europas machen. Hieß das Fellpudel? Oder Putzfetzen? Im Anschluss an den Österreich-Beitrag erfuhr ich, dass die Mörder des Pressefotografen José Luis Cabezas zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Danach erörterte man in aller Ausführlichkeit (als wollte man mir die Unwichtigkeit der „problemas“ von „Austria“ beispielhaft vor Augen führen) den Gesundheitszustand des knallbunten und kugelrunden Diego Maradona, der eine Herzinfarkt-Rekonvaleszenz bei Fidel Castro zelebrierte: lokale Weltpolitik.

Der Autor

Martin Amanshauser, „Logbuch Welt“, 52 Reiseziele, www.amanshauser.at, Bestell-Info: www.diepresse.com/amanshauser oder Fax 01/51414-277.

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