Die Kommission will bis 2010 mit 1,5 Prozent des BIP die Rezession bremsen. Es geht um Mehrwertsteuern, Kredite und Zukunftsinvestitionen.
BRÜSSEL. Das Marketing hat funktioniert. Gestern hat die EU-Kommission ihr neuestes Produkt vorgestellt: ein Konjunkturpaket, mit dem sie die 27 Mitgliedstaaten dazu drängen will, sich massiv und koordiniert gegen die Rezession zu stemmen. Doch nachdem die geplante Summe von 170 Mrd. Euro schon vor einer Woche durchgesickert war, legte die Kommission überraschend noch einmal ordentlich nach. Stolze 200 Mrd. Euro soll das Paket nun fassen, statt der kolportierten 1,0 sogar 1,5 Prozent des Bruttobinneneinkommens (BIP) der EU. Der größte Teil davon, genauer 170 Mrd. Euro, also rund 1,2 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts, soll freilich aus den nationalen Budgets der Mitgliedstaaten kommen. Welches Land wie viel dazu beiträgt, steht noch nicht fest – darüber wird bis zum EU-Gipfel am 11. und 12. Dezember, bei dem das Paket beschlossen werden soll, wohl noch heftig gefeilscht werden. Für Österreich wären das rund 3,24 Mrd. Euro, wollte es sich an den vorgeschlagenen EU-Durchschnitt halten.
Immerhin 30 Mrd. Euro sollen von der EU selbst kommen: 14,4 Mrd. Euro aus dem bestehenden Haushalt der Union bis 2013. Allerdings werden die Mittel nicht aufgestockt, sondern nur umgeschichtet und früher ausgegeben als geplant. Darüber hinaus stellt die Europäische Investitionsbank (EIB) den kleinen und mittleren Unternehmen 15,6 Mrd. Euro an Darlehen mit Niedrigzinsen zur Verfügung. Dazu soll es im Dezember eine Kapitalerhöhung geben.
Doch auch wie die nationalen Mittel eingesetzt werden, gibt die Kommission vor. Ziel sind, wie schon bei der Milliardenhilfe für die Banken, koordinierte Maßnahmen zur Stützung der Realwirtschaft. Vor allem steuerliche Anreize zu mehr Konsum und Investitionen sollen das Vertrauen stärken, erklärte Kommissionspräsident José Barroso in Brüssel. In einem Jahr, so hofft er, werde man dann „Ergebnisse“ sehen. Europa müsse aus dem „Teufelskreis“ der Rezession kommen.
Österreichs Beitrag offen
Je nach Stärke der Rezession und Höhe des Haushaltsdefizits dürften die EU-Staaten unterschiedlich tief in die Tasche greifen müssen, um das EU-Paket zu füllen. Ob es aus Österreich tatsächlich – gemäß dem Schnitt von 1,2 Prozent des BIP – 3,24 Mrd. Euro an „frischem“ Geld geben wird, ist noch offen. Barroso sagte bereits zu, dass „angekündigte, noch nicht umgesetzte Hilfen der Staaten“ angerechnet werden. In Kraft treten soll das Paket schon Anfang 2009, gelten solle es bis spätestens Ende 2010. Insbesondere durch Innovation für mehr Umweltschutz werde Europas Wirtschaft wieder „vorwärtskommen“, besonders Klein- und Mittelbetriebe sollten von mehr Mitteln profitieren. Bereitgestellt soll das Geld für Projekte wie zum Beispiel „grünere“, also umweltschonendere Autos, von der EIB werden, die Darlehen mit besonders niedrigen Zinssätzen anbietet. Diese sollten „möglichst flexibel“ genützt werden können, außer im Auto- etwa auch im Bausektor.
Wirtschafts- und Währungskommissar Joaquin Almunia regte an, für eine begrenzte Zeit von etwa einem Jahr die Mehrwertsteuersätze in einzelnen EU-Ländern zu senken. Bis auf 15 Prozent darf die Steuer gesenkt werden, ohne dass das Land gegen EU-Wettbewerbsrecht verstößt. Großbritannien hat erst diese Woche angekündigt, die Steuer von 17,5 auf 15 Prozent zu senken. Österreich ist traditionell gegen eine solche Reduktion.
Dennoch signalisierte der scheidende Finanzminister Wilhelm Molterer (ÖVP), er stehe positiv zu den EU-Vorschlägen. Das Programm der nächsten Regierung weise mit Investitionen für 2009 und 2010 in der Höhe von 1,9 Mrd. Euro den Weg. Sie sollen unter anderem in Bauten, Sanierungen sowie Forschung und Entwicklung gehen – allesamt Ziele, die Barroso am Mittwoch ausdrücklich lobte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2008)