Amanshausers Welt: 116 Oman

Musandam
Musandam(c) Die Presse (Martin Amanshauser)
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Wie leicht es dir gelingen kann, auf einem Bergplateau beinahe zu verdursten.

TIPP

Stell dir vor, du bist auf der Halbinsel Mu­sandam, in einer bergigen, kargen Region. Sommerhitze. Du beteiligst dich an einem Forschungsprojekt von „Biosphere Expeditions“, das erkundet, ob es auf Musandam noch den einen oder anderen Arabischen Leoparden gibt. Du durchstreifst mit Kollegen Hochebenen. Euer Blick ist auf den Boden gerichtet: Ihr sucht nach Ausscheidungen des Leoparden. Du hast sogar Plastikbeutel dabei, um Kot einzupacken.
An diesem Tag kletterst du vom Meer auf
400 Meter. Der Aufstieg vom Städtchen Kumzar über Klippen und Schotterhalden wurde durch eine großartige Hochebene belohnt. Menschenleer, auch tierleer. Ohne Leopard. Die Plastikbeutel bleiben im Rucksack.

Irgendwann beschließt du, auf eigene Faust loszugehen. Du vereinbarst mit den anderen als Treffpunkt Kumzar am Nachmittag, der Rückweg sei bekannt. Du verabschiedest dich und wanderst alleine dahin, unter einer brennenden Sonne, durch ­eine riesige Landschaft, die kein einziges Geräusch von sich gibt.

Nach drei Stunden merkst du plötzlich: Du bist allein. Völlig allein. Drehst um. Gehst den Weg zurück. Den Weg? Bist du in der richtigen Klamm? Berggipfel links und rechts: alles ähnlich. Die Richtung müsste stimmen. Doch vielleicht bist du im Paralleltal? Die Erkenntnis erschüttert dich wie ein Blitzschlag: Noch ist es klebrig heiß. In der Nacht wird es bestimmt bitterkalt. Du hast einen halben Liter Wasser dabei. Du trägst ein T-Shirt. Du besitzt eine Mini­taschenlampe und zehn Plastikbeutel für Kot.

Du beschleunigst.
Rufst die anderen. Kein Mensch, kein Tier! Du bläst wie ein Wahnsinniger in deine Trillerpfeife. Du rast den eben entlanggehasteten Weg kopflos zurück. Verdammt, wo sind die anderen? Du säufst gierig vom Wasser, hast die Hälfte der Ration verbraucht. Wenn du den Weg nach Kumzar nicht findest? Dich zwischen den Felsen verirrt hast? Wirst du verdursten und erfrieren? Über dunkle Klippen rutschen? Dein Puls ist bei 200, du stürzt verzweifelt das letzte Wasser runter. Allein. Verloren?

Die dich dann doch finden, berichten später, du seist ihnen mit hochrotem Kopf im Schweinsgalopp entgegengesprengt, die Trillerpfeife blasend wie ein Irrer. Du habest sie kaum erkannt, brachtest vor Glück eine Minute lang kein Wort hervor. Du bist gerettet! Du bist im richtigen Tal!

Du machst dich an den Abstieg. Noch immer voll Adrenalin. Deine Knie zittern. Du läufst voraus. Bist der Erste unten in Kumzar. Das Meer! Du ­fragst einen Einheimischen, ob man hier baden darf. Er nickt. Er lacht. Er setzt sich an den Strand, ruft seine Freunde. Immer mehr Bewohner kommen, beobachten dich. Du weißt, du sollst das nicht tun, islamisches Land. Aber du kannst nicht anders, du hast überlebt! Reißt dir das T-Shirt vom Leib. Lässt dich ins Wasser plumpsen.



Martin Amanshauser, "Logbuch Welt", 52 Reiseziele
Bestellungen online oder Fax 01/514 14-277.

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