Was Jugendliche in den Jihad treibt

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Erinnerungsfoto aus dem "Heiligen Krieg". Kämpfer des Islamischen Staates in Syrien(c) REUTERS (� Stringer . / Reuters)
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Der Fall eines 14-Jährigen aus St. Pölten ist der jüngste Beleg für ein Phänomen, vor dem Verfassungsschützer längst warnen: Die jihadistische Szene wird immer jünger. Doch was ist für Teenager so reizvoll daran?

Die Intervalle werden kürzer. Immer häufiger erschüttern Meldungen über Jugendliche, die sich dem Jihad, dem sogenannten "Heiligen Krieg" im Namen eines radikalen Islam anschließen wollen, die Öffentlichkeit. Erst Dienstagabend wurde in St. Pölten ein 14-Jähriger festgenommen, der sich angeblich einer jihadistischen Gruppe anschließen wollte und laut ersten Informationen einen Anschlag am Wiener Westbahnhof geplant haben soll. Weitere Details zu dem Fall wurden für den Verlauf des Mittwochs erwartet.

Das ist jedoch noch nicht die Alters-Untergrenze: Vor einem Monat gab der deutsche Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen bekannt, dass der jüngste bekannte Jihadist, der aus Deutschland nach Syrien oder in der Irak zog, erst 13 Jahre alt war.

Und seit dem Frühjahr vergeht kaum eine Woche, in der nicht Neues im Fall der beiden Wiener "Jihad-Mädchen" Samra K. (17) und Sabina S. (15) berichtet wird. Einmal heißt es, die beiden Mädchen, die sich derzeit in Syrien aufhalten dürften, wollten nichts sehnlicher, als wieder zurück nach Österreich zu kommen, dann taucht wieder eine Art "Interview" auf, in dem sie angeblich bekunden, mit ihren "Ehemännern", zwei Kämpfern, glücklich zu sein. Ähnliche Fälle sind mitterweile aus vielen europäischen Ländern aktenkundig.

Immer jünger, immer gewaltbereiter

Alarmierend sind die Tendenzen, über die der deutsche Verfassungsschutz in der Broschüre "Jugend und Jihad" referiert: "Jugendliche spielen im Bereich des Jihadismus in Deutschland eine immer größere Rolle", heißt es dort gleich zu Beginn. In den vergangenen Jahren habe sich eine Abnahme des Altersdurchschnitts der jihadistischen Akteure abgezeichnet. Der Einstieg in die jihadistische Szene erfolge in der Regel in der Jugend, laut einer Studie des Bundeskriminalamts liegt das durchschnittliche Alter bei 16 bis 19 Jahren.

Und: die selbsternannten Nachwuchs-Gotteskrieger aus dem Bereich des "hausgemachten Extremismus" seien - egal ob es sich um radikalisierte Migranten der zweiten oder dritten Generation oder um Konvertiten handelt -  nicht nur immer jünger, sondern auch besonders "aktionsorientiert". Sprich: Sie haben eine starke Neigung, ihre radikalen Gedanken auch in die Tat umzusetzen.

Orientierungslosigkeit, Suche nach Werten

Doch was treibt jemanden in einem Alter, in dem man sonst eher erste berufliche Zukunftspläne schmiedet, in dem die Hormone von der ersten Liebe durcheinander gewirbelt werden, dazu, sich dem Jihad anzuschließen und im eigenen Land Anschläge verüben zu wollen oder in den "Heiligen Krieg" nach Syrien zu ziehen?

Der deutsche Verfassungsschutz, der eine eigene Ausstigs-Hotline eingerichtet hat, führt als wichtige Faktoren eine "altersbedingte, oft durch familitäre Konstellationen verstärkte Orientierungslosigkeit" an. Damit verbunden sei eine Suche nach richtigen Werten, echter Gemeinschaft und vermeintlicher Gerechtigkeit, gepaart mit einer Art "Überlegenheitsgefühl", weil man sich auf der richtigen Seite wähne.

"Diese jungen Leute fühlen sich von der Gesellschaft diskriminiert und abgewertet", nennt der Berliner Psychologe Kazim Erdogan im Gespräch mit der "Deutschen Welle" ein weiteres Motiv. 90 Prozent der jungen Menschen mit Jihad-Ambitionen fühlten sich als Versager, als "letztes Schaf in der Herde". Und dieses Gefühl entfremdet sie dieser Welt. Zumal es für sie ja eine bessere zu geben scheint: "Sie sind überzeugt, dass das hier die falsche Welt ist und das wahre Leben im Jenseits beginnt", meint Psychologe Erdogan.

"Ich komme nur als Leiche zurück"

Dies steigert die Bereitschaft, auch den eigenen Tod in Kauf zu nehmen. Und darüber zu reden, als wäre dies völlig normal: "Ein Freund von mir, mit dem ich aufgewachsen bin, ist nach Syrien gegangen. Er sagte, wenn ich zurückkomme, dann nur als Leiche", war in einer Ö1-Reportage am Dienstag eine 18-Jährige zu vernehmen. Sie gab auch einen Hinweis, was bei den Jugendlichen in der Wiener Großfeldsiedlung - und wohl nicht nur dort - die Keimzelle der Radikalisierung war: Salafisten verteilten dort Gratis-Koran-Exemplare, verwickelten die Teenager in Gespräche und luden sie in ihre Moscheen ein.

Eine Rolle spielen laut Extremismus-Experten auch eine gewisse Jihad-Lagerfeuer-Romantik. Die Ausbildung zum "Gotteskrieger" gleichsam als eine Art Pfadfinderlager mit garantiertem Anschluss ans Paradies. Nicht nur bei Teenagern sondern ganz allgemein spielen auch  "Abenteuerlust und das Ausleben von Gewaltphantasien eine Rolle", meinte der deutsche Jihadismus-Experte Guido Steinberg kürzlich im Gespräch mit der "Presse", gerade bei jenen, die sich dem "Islamischen Staat" IS als extremster Gruppe anschließen wollen, einer Gruppe, die mit abgeschlagenen Köpfen und Leichenschändungen auf sich aufmerksam mache. 

Wie erkennt man nun, dass ein Jugendlicher in solch gefährlichem Fahrwasser schwimmt? Der deutsche Verfassungsschutz führt einige zentrale Punkte an: Das äußere Erscheinungsbild verändert sich, besonders in Bezug auf Kleidung und Frisur, analog dazu verändert sich die Lebensweise. Ein neues soziales Umfeld wird aufgebaut, oftmals unter einem totalen Bruch mit dem bisherigen Freundeskreis. Doch Familie und Umfeld haben nicht viel Zeit, zu reagieren: Denn, wie Experte Steinberg im Interview meinte: "Die Phase von der Radikalisierung bis zur Rekrutierung ist kürzer geworden. Und wenn die Sicherheitsbehörden nur wenige Monate haben, können sie kaum feststellen, dass junge Menschen in dieses Milieu abrutschen".

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