Deutschland: Linke Premiere in Erfurt

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In Thüringen könnte heute erstmals ein Politiker der Linkspartei, Bodo Ramelow, zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Im ersten Wahlgang fiel er allerdings durch

Der selbst ernannte „Drachentöter“ spuckte Gift und Galle. In einem Kommentar in der „Welt“ hielt der Liedermacher Wolf Biermann noch einmal Scherbengericht mit der Linkspartei und ihren rot-grünen Alliierten in Thüringen. Am Donnerstag haben sie in Erfurt einen Koalitionsvertrag unterzeichnet, und heute wollen sie im Landtag zehn Wochen nach den Wahlen eine Premiere inszenieren: die Kür Bodo Ramelows als ersten Politiker der Linkspartei zu einem Ministerpräsidenten im Post-Wende-Deutschland. Im ersten Wahlgang fiel Ramelow allerdings durch. Er brachte nicht alle Stimmen des Linksbündnisses hinter sich. Im dritten Wahlgang reicht eine einfache Mehrheit.

Die Konstellation erregte Skepsis und Unmut unter ehemaligen ostdeutschen Bürgerrechtlern, allen voran bei Biermann und Präsident Joachim Gauck. Unter dem Motto „Vereinigung gegen das Vergessen“ taten am Donnerstagabend noch einmal bis zu zehntausend Demonstranten in Erfurt ihren Protest gegen das Bündnis in dem CDU-Stammland kund, einer Wiege der Klassik und Wirkstätte von Luther und Goethe. Der Geheimrat war in Weimar einst sogar Regierungsgeschäften nachgegangen. Dass sich unter den Abgeordneten der Linkspartei zuhauf Ex-Stasi-Spitzel und Mitläufer des DDR-Regimes tummeln, irritiert viele Bürger und frühere Dissidenten.

Im Bundestag hatte Biermann beim Gedenkakt zum Jubiläum des Mauerfalls gegen die Linke gegiftet. In der „Welt“ verhöhnte er Ramelow nun als „weichgespülten Westapparatschik“. Der gebürtige Westdeutsche Ramelow war als Gewerkschaftsfunktionär 1990 in den Osten übersiedelt, um später in der postkommunistischen PDS Karriere zu machen. „Sollen die linksalternativen Würstchen sich von Gysi und Co. in die Pfanne hauen lassen“, ätzte der wortgewaltige Dichter. Der „Gespenster-Hochzeit“ wollte Biermann indes nicht beiwohnen.

„Karl Marx in Staatskanzlei“

Ramelow hat für die höheren Weihen sein obligates Flinserl abgelegt, und den Rolli tauschte er gegen Hemd und Krawatte aus. Im Koalitionspakt, der ein Gratis-Kindergartenjahr, 500 neue Lehrer und den Ausbau der Alternativenergie als Segnungen verheißt, hat der Pragmatiker, wegen seiner cholerischen Anfälle intern mitunter „Rammelow“ genannt, seine Regierungspartner großzügig bedient.

Damit bei der heutigen Wahl auch ja nichts schiefläuft, haben die rot-rot-grünen Bündnispartner eine Reihe von Probeabstimmungen durchgeführt. Denn die Mehrheit ist mit lediglich einer Stimme mehr als wacklig, und das Trauma der SPD in Schleswig-Holstein vor bald zehn Jahren in Deutschland noch höchst lebendig. Damals versagte ein Parteigänger – der sogenannte Heide-Mörder – der Ministerpräsidentin Heide Simonis in drei Wahlgängen die Gefolgschaft. Am Ende siegte ein CDU-Mann.

Vorerst verzichtet die CDU auf Druck von Kanzlerin Angela Merkel in Erfurt auf einen Gegenkandidaten. Dies würde, so das Kalkül, nur die Reihen von Rot-Rot-Grün schließen. Zudem untersagte sie ihrer Partei, der stärksten im Landtag, eine Unterstützung durch die populistische Alternative für Deutschland. Merkels Strategie läuft darauf hinaus, ein Scheitern des rot-rot-grünen Modells, von „Karl Marx in der Staatskanzlei“, im Hinblick auf die Berliner Bühne vorzuführen. Die SPD, Merkels Juniorpartner, steuert auf eine Zerreißprobe zu. Wegen ihrer Außen- und Sicherheitspolitik, der Ablehnung der Nato und der massiven Israel-Kritik gilt die Linkspartei vielen Sozialdemokraten nicht als salon- oder gar regierungsfähig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2014)

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