Die Abrechnung mit Gülen ist türkischem Präsidenten wichtiger als europäische Normen.
Ihn interessiert schon lang nicht mehr, was man in der EU über ihn denkt. Denn dem türkischen Präsidenten Erdoğan ist bewusst, dass man es dort ohnehin nicht sehr ernst meint mit dem Angebot, die Türkei möge doch der Union beitreten. Wozu also Mühe in den Ausbau rechtsstaatlicher Strukturen investieren? Für eine EU-Mitgliedschaft, die es wohl nie geben wird? Erdoğan schaut sich seit Jahren nach anderen Freunden um. Mit Russlands Präsidenten, Wladimir Putin, vereinbarte er nun eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit. Dass Ankara im Syrien-Krieg die Rebellen unterstützt und Moskau das Regime, spielt dabei offenbar keine Rolle.
Auch beim Kampf gegen Kritiker scheint Erdoğan dem Vorbild Putin zugetan zu sein. Das zeigt der Schlag gegen Journalisten, die der Gülen-Bewegung nahestehen. Erdoğan wirft seinem Rivalen Gülen vor, die Sicherheitskräfte unterwandert zu haben. Das mag sogar stimmen. Als Gülen noch an Erdoğans Seite marschierte, störte das diesen freilich nicht. Die Affäre wirft ein Schlaglicht darauf, wie sehr Polizei- und Justizapparat in der Türkei als politische Waffen missbraucht werden. Das sollte sich rasch ändern. Im Interesse der Türkei – ganz unabhängig davon, was die EU darüber denkt.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2014)