Die Regierung in Ankara kommt nach Festnahme von Journalisten der Gülen-nahen Zeitung „Zaman“ unter Druck.
Istanbul. Die Polizei-Razzien gegen Journalisten vom Wochenende bringen die türkische Regierung in die Defensive. Mit einer Sonderauflage von zwei Millionen Exemplaren reagierte die türkische Tageszeitung „Zaman“ am Montag auf die Festnahme ihres Chefredakteurs, Ehrem Dumanli. Anhänger der Zeitung und der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen gingen in mehreren Städten der Türkei mit dem Blatt und der Schlagzeile „Schwarzer Tag der Demokratie“ auf die Straße, um gegen die Festnahme von Dumanli und rund 20 anderen Betroffenen zu demonstrieren.
Mit den Kundgebungen wollte die Gülen-Bewegung zeigen, dass sie sich vom Druck der Behörden nicht einschüchtern lässt. Dafür gibt es viel Unterstützung. Selbst Journalisten, die Gülen normalerweise sehr skeptisch gegenüberstehen, kritisierten das Vorgehen der Behörden und solidarisierten sich mit den Festgenommenen.
Widerspruch im Regierungslager
Sogar im Regierungslager erhob sich Widerspruch: Abülkadir Selvi, ein Parteigänger von Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Kolumnist der regierungsfreundlichen Zeitung „Yeni Safak“, brandmarkte die Festnahmen als falsch und schädlich. Die Regierung habe mit den Festnahmen „Harakiri“ begangen, kommentierte der Kolumnist und Erdoğan-Kritiker Mehmet Baransu.
Falls die türkische Führung gehofft haben sollte, sich mit den Festnahmen der Medienvertreter kurz vor dem Jahrestag der Korruptionsenthüllungen an diesem Mittwoch etwas Luft verschaffen zu können, hat sie sich getäuscht. Ein Jahr, nachdem Istanbuler Staatsanwälte mehrere Dutzend Verdächtige aus dem Umfeld der Erdoğan-Regierung unter dem Verdacht der Bestechlichkeit festnehmen ließen, wird mehr über Willkür, Aushöhlung des Rechtsstaates und Nepotismus geredet als je zuvor.
Juristischer Krieg gegen Gülen
Erdoğan wirft Gülen vor, ihn stürzen zu wollen. Einige Beobachter vermuten, dass die Regierung mit den Festnahmen der Gülen-Leute juristische Fakten schaffen will, um bei den USA die Auslieferung des in Pennsylvania lebenden Predigers beantragen zu können. Erdoğan hat US-Präsident Barack Obama in den vergangenen Monaten um eine Auslieferung gebeten, doch weder in den USA noch in der Türkei gibt es Gerichtsurteile, die diesen Schritt begründen könnten. Nun meldeten regierungsnahe türkische Zeitungen, die Staatsanwaltschaft sehe den Prediger als Drahtzieher der angeblichen Machenschaften, die Dumanli und den anderen Festgenommenen vorgeworfen werden.
Doch die Festnahme der Journalisten könnte sich als Schuss erweisen, der für Erdoğan nach hinten losgeht. Der Präsident musste erleben, dass die „Zaman“-Journalisten in der Öffentlichkeit als Opfer von Willkür gesehen werden.
Ablenkung von Korruption?
Hinzu kommt, dass das unangenehme Thema Korruption ausgerechnet vor dem Jahrestag mit neuen Entwicklungen auf die Tagesordnung zurückkehrt. Etyen Mahcupyan, ein armenischstämmiger Intellektueller und Berater von Premier Ahmet Davutoğlu, forderte eine transparente Aufarbeitung der Korruptionsvorwürfe durch die Regierung.
Vizepremier Bülent Arinc gestand ein, dass einige Politiker und Bürokraten ihren Verwandten gut dotierte Posten zugeschoben haben, ohne dass die dafür offiziell nötigen Qualifikationen vorhanden waren.
Die Debatte über diese Missstände komme der Regierung wohl ungelegen, meldeten einige türkische Twitter-Nutzer am Montag: Der Zugang zu dem Kurznachrichtendienst, der auf Druck von Erdoğan im Frühjahr vorübergehend gesperrt worden war, ist nach den Festnahmen der Journalisten erneut zeitweise unterbrochen worden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2014)