Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht die etablierten Parteien in der Pflicht, den Dialog mit den europäischen Bürgern zu suchen.
Den Haag. „Länder drohen, unregierbar zu werden, wenn die großen Parteien beginnen, die Populisten zu imitieren“, mahnt der amtierende Kommissionspräsident, Jean-Claude Juncker in einem Interview mit der niederländischen Zeitung „de Volkskrant“. Nicht die populistischen Parteien seien die Ursache des Problems – „sondern sie haben Erfolg, weil sie auf die Probleme reagieren“. Andere Parteien sollten den Populisten nicht hinterherlaufen, sondern den Dialog mit den Bürgern suchen. Es wäre „eine Katastrophe, wenn mehr EU-Skeptiker ins EU-Parlament einziehen“, warnt Juncker.
Beim Nein der Niederlande zur Europäischen Verfassung im Jahr 2005 hätten sich die drei großen niederländischen Volksparteien, Christdemokraten (CDA), Liberale (VVD) und Sozialdemokraten (PvdA) im Wahlkampf nicht ausreichend für die Verfassung eingesetzt, so der Kommissionspräsident. Juncker geht auch ausführlich auf den Umstand ein, dass er Frankreich und Italien bis März Zeit gegeben hat, die Finanzen in Ordnung zu bringen und die staatlichen Defizite zu kürzen. Frankreich und Italien „haben sich schriftlich darauf festgelegt, das zu tun. Sollten sie es nicht tun, wird es sehr unangenehm für sie.“ Auch französische Politiker hätten das verstanden. „Die Regierung hat bis jetzt nie einen Brief an die Kommission geschickt, in dem sie erläutert, was sie zu tun gedenkt. Jetzt hat sie das getan.“
Das größte Problem der Union ist für Juncker „die Kluft zwischen dem Bürger und der EU. Wir, die Führer Europas, haben in den vergangenen 15 Jahren einen großen Fehler gemacht. Wir haben aus jedem Problem in Europa ein Problem für Europa gemacht. Das geht nicht mehr. Wir müssen deutlich machen, dass Europa nur für die großen Sachen auf dem Kontinent zuständig ist, nicht für die vielen kleinen Dinge, nicht für den Alltag des Bürgers.“
Zu seinem Verhältnis zum niederländischen Finanzminister und Euro-Gruppen-Vorsitzen Jeroen Dijsselbloem, der Juncker als starken Raucher und Trinker an den Pranger stellte, sagt der EU-Kommissionspräsident: „Ich bin nicht rachsüchtig. Er hat sich dafür entschuldigt. Ich habe noch seine SMS dazu in meinem Telefon.“ (htz)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2014)