Anstatt Staatshaushalte zu sanieren und wettbewerbsfähiger zu werden, schlug Europa den anderen Weg ein. Griechenland ist wie immer einen Schritt voraus.
Wieder einmal fühlen sich die Scharfmacher bestätigt. All jene, die Griechenland aus der Eurozone, ja gar aus der EU fliegen sahen und sehen, könnten am Ende doch noch recht behalten. „Ich sehe Griechenland 2013 außerhalb der Eurozone“, sagte der heutige deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt schon im Sommer 2012. Äußerungen wie jene des CSU-Politikers waren nie sonderlich originell. Griechenland-Bashing war in – es dürfte nun wieder in Mode kommen. Denn mit dem Scheitern der Präsidentenwahl am Montag und den daraus resultierenden Neuwahlen Ende Jänner spukt wieder ein altes Schreckgespenst durch Europa: die Eurokrise. Sie ist zurück. Und mit ihr all die Ressentiments.
Dabei hatte sich das alles von der Ferne so gut angesehen. Ökonomen lobten den Weg Griechenlands aus der Rezession. Für 2015 wurde ein Wirtschaftswachstum von 2,9 Prozent prognostiziert. Alles Makulatur. Wie so oft in jüngster Zeit. Im Vergleich zu den Prognosen der Ökonomen erscheinen Glaskugeln mittlerweile geradezu als Hochpräzisionsgeräte.
Tatsächlich stellte der Rettungsplan der EU und des Währungsfonds die griechische Bevölkerung vor extreme Entbehrungen. OECD-Experten rechneten einst aus, was in Ländern wie Deutschland oder Österreich passieren würde, gäbe es Einsparungen nach griechischer Art. Pensionisten, Lehrer, Polizisten müssten demnach auf 13,5 Prozent ihres Einkommens verzichten. Sozialausgaben wie etwa Arbeitslosengeld würde halbiert werden. Längst fragen sich viele Griechen, wer durch den sogenannten EU-Rettungsplan tatsächlich gerettet werden soll.
Selbst schuld, oder? Griechenland hat jahrelang über seine Verhältnisse gelebt, hat eine nicht konkurrenzfähige Wirtschaft mit Steuergeld – also mit Schulden – gefüttert. Viele Menschen haben den Staat als Selbstbedienungsladen missinterpretiert. Das ist allerdings kein griechisches Privileg gewesen. So agierten und agieren auch andere EU-Länder. Und die Rede ist nicht nur vom sogenannten Club Méditerranée. Die griechische Tragödie sollte auch hierzulande ihre kathartische Wirkung nicht verfehlen. In der Not sind einfache Lösungen gefragt.
In Griechenland bietet diese Alexis Tsipras an, der Chef der linksradikalen Syriza-Partei. Sein Plan: Ein Ende der von der Troika aufgezwungenen Sparpolitik, ein Ende der Privatisierungen und vor allem ein neuerlicher Schuldenschnitt. Und im Gegenzug verspricht er den Griechen Steuersenkungen, höhere Löhne, eine Aufstockung des Beamtenapparates und einen Krediterlass für überschuldete Haushalte. Solche und ähnliche politischen Versprechen hört man leider nicht nur in Griechenland.
Auch wenn die Euro-Austritts-Fantasien fröhliche Urständ feiern. Es braucht keine ökonomischen Prognosen oder Glaskugeln, um die Folgen eines solchen zu erkennen. Die Griechen würden sofort ihre Euro-Konten plündern. Der „Bank Run“ würde zum Kollaps des Geldkreislaufs führen. Ein Staatsbankrott wäre nur eine Frage von Tagen.
In den restlichen Euro-Staaten wäre wohl eine Kettenreaktion die Folge. Wer investiert noch in Italien, Spanien oder Portugal, wer kauft noch deren Staatsanleihen, wenn er fürchten muss, dass das griechische Beispiel Schule macht? Wie nannte es vor kurzem der Bundesverband der Deutschen Industrie? Ein Euro-Austritt Griechenlands sei „ein Experiment mit ungewissem Ausgang“. Sehr nobel ausgedrückt.
Aber nobel geht bekanntlich die Welt zugrunde. Vor allem wenn die Noblesse auf (Staats)Schulden basiert. Als die Europäische Union das erste Hilfspaket für Griechenland schnürte, hofften Kommentatoren, dass das abschreckende Beispiel dazu führen wird, dass die übrigen EU-Staaten ihre Haushalte sanieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern werden. Nur Deutschland hat sich tapfer daran gehalten – und wird mittlerweile sogar für seine „exzessive Austeritätspolitik“ gescholten. Was soll also das Gerede vom Euro-Austritt der Griechen? Länder wie Frankreich oder Italien drängen längst auf ein Aufweichen des Stabilitätspakts. Griechenland ist dabei nur einen Schritt voraus.
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("Die Presse", Printausgabe vom 30.12.2014)