Vierschanzentournee: Und am Ende siegt ein Österreicher

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Stefan Kraft gewann in Oberstdorf vor Michael Hayböck, dieses Zimmer-Duell könnte auch das Neujahrsspringen prägen. Die Konkurrenz rätselt über Österreichs Serie.

Oberstdorf. Skispringen ist Abenteuer im Kopf, man braucht guten Wind, einen satten Absprung und viel Gefühl. Alle Athleten, die im Weltcup mitspringen, erfüllen diese Anforderungen; mehr oder weniger. Doch beginnt die Vierschanzentournee, dominiert in der Gegenwart nur noch Österreich. Das funktioniert seit Dezember 2008 beinahe schon auf Knopfdruck.

Wolfgang Loitzl, Andreas Kofler, Thomas Morgenstern, Gregor Schlierenzauer (zweimal), Thomas Diethart – sie gewannen in Serie diesen Bewerb. Jetzt siegte Stefan Kraft beim Auftakt der 63. Auflage in Oberstdorf vor Landsmann Michael Hayböck und vieles deutet vor dem Neujahrsspringen (Donnerstag, 14 Uhr) auf ein weiteres Erfolgskapitel hin. Es war der 17. Tagessieg seit dem 1. Jänner 2009.

Das kann kein Zufall sein, meinen Beobachter, sechs Gesamtsiege in Serie sind allein von der Wahrscheinlichkeit her kaum erklärbar. Ebenso das Gegenteil dessen; von 1964 bis 1974 gab es keinen einzigen österreichischen Tagessieg. Oder: Vor dieser Serie war Österreich sieben Jahre lang erfolglos. Was aber ist das Geheimnis?

In der Sportpsychologie wird dieses Momentum als „Flow“ behandelt. Plump formuliert ist es ein „Lauf“, das Loslassen, das Wissen um die eigene Stärke. Es wird nach Antworten gesucht für die „Tournee der Österreicher“. Ist es Folge des 2007 von Deutschlands Handballern übernommenen „Neuro-Coachings“, das darauf basiert, das Gehirn wie einen Muskel zu trainieren? Ist es die Symbiose mit jugendlicher Unbekümmertheit oder der angesichts dieser Serie abgelegte Respekt vor dem Klassiker? Das beste Material? Glück?

Adler wie deutsche Fußballer

Werner Schuster, der Vorarlberger ist Trainer der deutschen Springer, sagt: „Mit den Österreichern und der Tournee ist es so wie mit der deutschen Fußballmannschaft und der WM. Sie haben einfach dieses Selbstverständnis.“ Was sollte er auch anderes sagen, Deutschland musste nach einem „katastrophalen Wettkampf“ (Severin Freund war als 13. bester DSV-Springer) erneut alle Hoffnungen begraben.

Auch der Schweizer Simon Ammann ist nach einem Sturz erneut chancenlos im Gesamtklassement. Bleiben nur noch der Slowene Peter Prevc (3., acht Punkte zurück) und Polens Doppelolympiasieger Kamil Stoch (4.; 17 Zähler Rückstand), die Österreichs Serie beenden könnten.
Geschlagen ist jedenfalls Vorjahressieger Thomas Diethart. Der 21-Jährige gewann damals sensationell. Nun müht er sich, in dieser Saison verpasste er bis auf zwei Bewerbe immer das Finale, in Oberstdorf wurde er 27. „Ich habe gewusst, dass ich hier nichts zerreißen werde.“ Damit hebt zumindest ein Hauch Nostalgie mit ab, wenn er am Donnerstag in Garmisch-Partenkirchen über den Schanzentisch zieht. Dort siegte er im Vorjahr erstmals. Wie er sich selbst Hoch und Tief erklärt? Diethart musste es oft schildern, aber selten so offen wie beim „Presse“-Besuch im Hotel Oberstdorf. „Ich bin keine Eintagsfliege, auch kein Trainingsweltmeister – sicher nicht.“

Dieter Thoma, der die Tournee 1990 gewann und nun für ZDF analysiert, glaubt, dass Diethart damals vom Momentum „zwar überrascht“ wurde, aber sich davon unbeeindruckt tragen ließ. „Da passte alles, er war jung, wusste nicht, was auf ihn zukommt. Aber, überhaupt: Das ÖSV-System ist super – ihr bleibt auf der Welle.“ Martin Schmitt – Deutschlands Superstar gewann alles bis auf die Tournee und ist nun für Eurosport tätig – sagt, „dass Diethart doch gar nicht so schlecht springt. Er ist wieder im Finale dabei, hat viel, hart gearbeitet. Er kommt wieder, braucht aber Geduld.“

Bayern gegen Barcelona

Stefan Kraft hatte diese Geduld. Im Vorjahr war er als 50. und Letzter aus dem Schanzenareal gestapft, das vergaß der Pongauer bei all dem Jubel nicht. Er trägt nun das Trikot des Tournee-Leaders, sein Freund und Zimmerkollege Michael Hayböck ist Weltcup-Führender. Es herrscht neidlose Eintracht, nur in einem Punkt werden sich beide nie einig: Kraft liebt Bayern München, Hayböck drückt Messi und Barcelona die Daumen. Vielleicht gehen beide irgendwann ja als Champions zu einem Champions-League-Spiel. Es wäre womöglich ein Treffen von Seriensiegern.

Vierschanzentournee Oberstdorf

1. Stefan Kraft (AUT) 291,9 (136,5/129 Meter)
2. Michael Hayböck (AUT) 285 (137,5/132,5)
3. Peter Prevc (SLO) 283,9 (139,5/125,5)
Weiters, 4. Stoch (POL) 274,9 5. Kofler (AUT) 274,8 (135,5/126) 6. Fannemel (NOR) 270,7 7. Koudelka (CZE) 265,3 8. Kasai (JPN) 264,3 9. Ito (JPN) 262,5 17. Schlierenzauer 247,5 27. Diethart 222,3.
Tourneewertung mit Ergebnis ident.
Weltcup: Hayböck (513) vor Fannemel (512).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2014)

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