Das fängt schon schlecht an: Patienten in Geiselhaft

Der erste Konflikt 2015 um die Arbeitszeit von Spitalsärzten ist Folge typischer Augen-zu-Politik. Leidtragende sind wieder einmal viele Bürger.

Gesundheit – das ist der Wunsch, der auch beim Wechsel ins neue Jahr 2015 im Familien- und Bekanntenkreis am häufigsten ausgesprochen wurde. Gesundheit können viele Österreicher zum Jahresbeginn diesmal besonders brauchen. Denn wer das Pech hat, als Patient auf Leistungen oder eine Operation in einem Krankenhaus angewiesen zu sein, sollte am besten nicht in Kärnten, Oberösterreich oder Wien leben. Wenn es sich nicht um einen Notfall oder eine lebensbedrohliche Erkrankung handelt, werden Betroffene in diesen Bundesländern voraussichtlich länger auf eine Spitalsbehandlung warten müssen. Sie werden mitten in Österreich im Konflikt um Arbeitszeiten und Gehälter zwischen Landespolitikern, Spitalsbetreibern und Ärztekammer in den ersten Tagen oder Wochen 2015 wohl in Geiselhaft genommen.

Unnötigerweise. Wie kommen Menschen, die ohne Behandlung im Spital keine dauerhafte Besserung ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung erwarten dürfen, dazu, dass ihre Gesundheit der Einsatz in diesem Kampf wird? Selbst wenn es für Ärzte und Personal Routineeingriffe sind, für viele Patienten ist selbst das Aufschieben einer Operation eine Belastung.

Momentan läuft noch bis Dreikönig der Feiertagsbetrieb inklusive entsprechender Spitalsdienstpläne. Aber danach drohen wegen geplatzter oder verzögerter Verhandlungstermine in Kärnten, Wien und Oberösterreich „Dienst nach Vorschrift“ mit reduzierten Arbeitszeiten und Protestmaßnahmen, weil es im alten Jahr keine Einigung gegeben hat.

Für die Patienten, die ihre Sozialversicherungsbeiträge gezahlt haben, ist das in mehrfacher Hinsicht ärgerlich. Hauptgrund für den berechtigten Unmut ist: Bund, Länder und Krankenhausbetreiber haben lang genug gewusst, dass die überlangen Arbeitszeiten nicht mehr den EU-Vorgaben entsprechen. Die Situation hat sich keineswegs in der Neujahrsnacht oder knapp vor Weihnachten zugespitzt. Immerhin hat es der Großteil der Bundesländer geschafft, rechtzeitig eine Lösung mit den Ärzten zu finden.

Besonders ärgerlich ist: Tausenden Patienten droht nun, dass sie zusätzlich zu ihrem gesundheitlichen Schicksal für typisch österreichisches Wegducken und Augenzudrücken, bis es nicht mehr geht bei den Regeln für die Ärztearbeitszeit, büßen müssen. Zugleich wird ein Schlawinertum bei den Bezügen entlarvt. Grundgehälter für die breite Masse der Spitalsmediziner wurden jahrelang so niedrig gehalten, dass vielen die Arbeit im Ausland attraktiver erschien. Mit überlangen Diensten und vielen Überstunden konnten die Gehälter ordentlich aufgefettet werden (bei der Polizei läuft das übrigens ähnlich).

Nun beklagen die Verantwortlichen für die Spitäler, dass Länder und ausgelagerte Spitalsbetreiber die Millionen an Mehrkosten für verkürzte Ärztearbeitszeiten gar nicht haben. Das trifft zu. Allerdings nur deswegen, weil etwa Kärnten oder Wien jahrelang zig Millionen Euro lieber für sündteure Pensionsrechte-Spompanadeln ausgegeben haben statt für die Einstellung zusätzlicher Ärzte (die dann auch tatsächlich mehr in den Spitälern statt in ihren Privatpraxen anwesend sein müssten).

In Oberösterreich hat Landeschef Pühringer Fortschritte bei Kooperation und Schwerpunktsetzung in den Krankenhäusern eingeleitet. Aber der Abwanderungsstopp von Jungmedizinern durch die von ihm durchgeboxte Linzer Medizin-Uni wird kaum erreicht werden, wenn die Gehaltsstruktur im Ausland günstiger ist. Das Verständnis kranker Oberösterreicher im Wahljahr für die Medizin-Uni wird schwinden, wenn sie als Patienten länger warten müssen.

Die Botschaft kann aus Sicht der Patienten nur lauten: Rasch zurück an den Verhandlungstisch. Notfalls darf der für die Ärztearbeitszeiten zuständige Sozialminister Hundstorfer mit Druck nachhelfen. Die Landespolitiker sind bei ihm in anderen Fragen wie der Pflegefinanzierung Dauergäste. Es muss nicht so lang dauern, bis der mit Beckenbruch im Wiener AKH liegende Patient und Minister die Versäumnisse buchstäblich am eigenen Leib zu spüren bekommt.

E-Mails an: karl.ettinger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2015)

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